Belgische Bürger sammelten 500.000 gestohlene Euro auf. Jetzt will die Polizei die Scheine von ihnen zurückhaben. Ein Dorf im Ausnahmezustand.

Zedelgem. An einem Sonnabendabend vor zwei Wochen hörten die Einwohner im belgischen Zedelgem Sirenen heulen und Reifen quietschen. Ein Fluchtauto raste, verfolgt von einem Polizeimotorrad, durch die ansonsten so beschauliche Stadt. Spätestens als Geldscheine wie Konfetti durch die Luft flogen, glaubten die Anwohner vermutlich an eine Filmszene. Viele von ihnen ließen dennoch alles stehen und liegen, um so viel Geld wie möglich zusammenzuraffen. Von rund einer Million Euro ist seither etwa die Hälfte verschwunden.

Eine Anwohnerin holte einen Besen, um die Scheine in ihr Haus zu kehren.

„Es war wie ein Geldregen“, erzählt Bürgermeister Patrick Arnou. Ob Kinder oder Senioren – alle stürzten sich in das Gerangel um die Scheine. Doch jetzt will die Polizei das Geld zurückhaben, und manch einer steht vor einem Dilemma. Soll er den unverhofften Reichtum ehrlich wieder abgeben oder einfach behalten? Für Staatsanwalt Jean-Marie Berkvens ist die Sache klar: „Auf arglistiges Verschweigen stehen bis zu zwei Jahre Haft.“ Doch was, wenn einen keiner gesehen hat?

Nun gehen Polizeibeamte von Haus zu Haus und befragen die Anwohner, während sich Nachbarn gegenseitig belauern. Über der Stadt liegt ein Hauch von Misstrauen. „Die Leute reden über nichts anderes mehr in dieser Stadt“, sagt Bürgermeister Arnou. „In der Straße selbst herrscht eine bittere Atmosphäre.“

Am Anfang der Geschichte stand ein Einbruch: In einer Nachbarstadt stiegen Unbekannte in ein Haus ein und entkamen mit dem Tresor. Ihr Auto war schnell identifiziert, zufällig erkannte es ein Polizist auf seinem Motorrad und nahm die Verfolgung auf. Als die Diebe die mit roten Backsteinhäusern gesäumte Ruddervoordestraat in Zedelgem erreichten, wollten sie ihren Verfolger abhängen und schleuderten ihm in Panik den Safe in den Weg. Dieser sprang auf. Und so kam es zu dem Regen von Scheinen, darunter auch 500-Euro-Noten, und zum großen Run auf das Geld. Auch Autofahrer hielten auf der Durchreise an, um sich die Knete zu sichern, eine Anwohnerin holte sogar einen Besen, um die Scheine in ihr Haus zu kehren.

Doch dann war die Polizei vor Ort und nahm den Leuten das Geld förmlich aus den Händen. Arnou zufolge konnten die Beamten fast eine halbe Million Euro sicherstellen. Die Einbrecher selbst wurden nicht gefasst, da die Polizei sich darauf konzentrierte, das Geld zurückzuholen.

Arnou ist enttäuscht von seinen Bürgern. „Was wir gesehen haben, gehört sich nicht“, sagt er. Schließlich gehöre das Geld unschuldigen Leuten. Einige kamen zum gleichen Schluss und brachten ihre Beute zurück. Am späten Mittwoch kam ein Paar aus dem rund 100 Kilometer entfernten Antwerpen, um 16.200 Euro zurückzugeben, die es auf der Durchreise eingesammelt hatte.

Doch Zedelgem ist gespalten. „Manche Leute finden, das Geld sollte zurückgegeben werden, andere sagen ,Behalte, was du hast'“, sagt Arnou. „Einen 20-Euro-Schein würde ich auch aufheben“, glaubt der 77-jährige Rentner Hector Clarysse. „Doch wenn man so viel Geld aufsammelt, weiß man, dass es nicht normal ist.“

In der Bar Cartouche gegenüber dem Rathaus berichtet Inhaberin Emely Derous von den Diskussionen ihrer Gäste: „Sie sagen im Spaß: ,Ich hätte es so oder so gemacht, um so viel wie möglich zu behalten'“, erzählt sie. „Und ich hätte wahrscheinlich das Gleiche getan, ich glaube jeder denkt so.“

Nicht so die Behörden: Die Polizei verschickte nun einen Brief an die Einwohner der Stadt, in dem sie um die Rückgabe des Geldes und Informationen über weitere Gelegenheitsdiebe bittet.

„Auf arglistiges Verschweigen stehen bis zu zwei Jahre Haft.“

Ob jemand die entscheidenden Minuten mit Kamera oder Handy gefilmt hat, ist noch unklar. Überwachungskameras gibt es in der Straße nicht. Die Geduld der Behörden ist jedenfalls fast am Ende: „Bisher versucht es die Polizei auf die nette Tour“, sagt Arnou. „Wenn jedem die Gelegenheit gegeben wurde auszusagen, und herauskommt, dass sie immer noch Geld haben, dann werden rechtliche Schritte eingeleitet.“

Ein Einwurfkasten am Rathaus sollte als anonymes Gelddepot für Rückgabewillige dienen. Ein reuiger Bürger steckte einen Stapel Scheine in einen Umschlag und warf ihn ein. Als sich die Nachricht herumsprach, versuchten Unbekannte vergeblich, den schweren Steinkasten herauszubrechen. Tagelang hing die kaputte Box als Zeugnis menschlicher Gier in der Wand. Dann wurde sie repariert und fester einbetoniert.