Ein Lehrer saß fünf Jahre in Haft, weil eine Kollegin ihn der Vergewaltigung bezichtigt hatte. Jetzt steht sie vor Gericht. Ihr drohen bis zu zehn Jahren Haft.

Darmstadt. Hätte der Lehrer Horst Arnold zugegeben, seine Kollegin Heidi K. in der großen Pause vergewaltigt zu haben, er wäre wahrscheinlich früher aus der Haft entlassen worden. Dann allerdings hätte sich Arnold, ein freundlicher Mann mit früh ergrautem, schließlich schlohweißem Haar, die Freiheit mit einer Lüge erkauft. Denn der Mann hat Heidi K. nicht vergewaltigt. Er hat der damals 36-Jährigen an jenem 28. August 2001 in einer hessischen Gesamtschule überhaupt gar nichts von all dem angetan, was sie ihm vorwarf. Alles war nur erfunden, womöglich, weil Heidi K. auf seinen Posten scharf war. Die Richter glaubten trotz ihrer teils kruden Aussagen der Frau, nicht ihm.

Arnold musste seine fünfjährige Strafe bis zum letzten Tag absitzen, weil er nicht gestand, und durfte danach nie wieder als Lehrer arbeiten, sondern musste von Hartz IV leben. Durch einen reinen Zufall kam Jahre später alles ans Licht. Das Fehlurteil wurde aufgehoben, Arnold rehabilitiert. Und nun wird Heidi K. wegen mutmaßlicher Fehlbeschuldigung und Freiheitsberaubung der Prozess gemacht. Von diesem Donnerstag an beschäftigen sich in Darmstadt die Richter mit jener Frau, die Bekannte und Kollegen als „Märchentante“ bezeichnen und die nach Überzeugung des Landgerichts Kassel „aberwitzige Geschichten“ erzählt hat. Ihr drohen bis zu zehn Jahren Haft.

Dennoch wird es für Horst Arnold kein Happy End geben. Der Biologie- und Sportlehrer hatte längst alles verloren, als das Fehlurteil aufgehoben wurde: sein Haus, sein Ansehen, die Freunde, den Glauben an die Gerechtigkeit, die Gesundheit. Eine Entschädigung wurde nie gezahlt, und das hessische Kultusministerium weigerte sich trotz allem, Arnolds Kündigung zurückzunehmen. Er müsse sich wie jeder andere neu bewerben. Selbst der letzte Trost blieb Arnold verwehrt: Just an dem Tag im Juni 2012, als sich die Staatsanwaltschaft zur Anklage gegen Heidi K. entschloss, wurde Arnold tot auf der Straße gefunden, Herzinfarkt. Er war nur 53 Jahre alt geworden.

Für viele, vor allem seine Tochter und seinen Anwalt Hartmut Lierow, ist das Verfahren, das nun in Darmstadt gegen Heidi K. beginnt, wohl dennoch eine Genugtuung, eine späte Würdigung dessen, was ein Mensch durchgemacht hat, der völlig unschuldig und ahnungslos in die Fänge der Justiz geraten war. Ein Mann, der nicht wusste, wie ihm geschah, als er plötzlich in Handschellen in einen Gerichtssaal geführt wurde: Er soll seine Kollegin im Biologievorbereitungsraum gegen einen Tresen gedrückt und stehend von hinten vergewaltigt haben.

Schon allein diese Schilderung hätte die Richter aufmerken lassen müssen, denn rein anatomisch wäre der Vergewaltigungsakt, wie geschildert, fast unmöglich gewesen. Auch andere Ungereimtheiten hätten auffallen müssen. Etwa, dass Heidi K. trotz angeblich großer Schmerzen wegen eines zwei Zentimeter langen Risses im Schambereich noch zwei Stunden Unterricht hielt. Dass sie in Begleitung ihrer Eltern nach ihrer Anzeige noch einmal von dem Beschuldigten auf einem Marktplatz bedroht worden sei. Dabei war Arnold zu diesem Zeitpunkt bereits in Untersuchungshaft.

Dass sich Arnolds späterer Anwalt Lierow des Falles auf eigene Faust und ohne Bezahlung annahm, als der Verurteilte nach fünf Jahren Haft schon wieder in Freiheit war, ist ein Zufall. Lierow, eigentlich Zivilanwalt aus Berlin, hat nämlich eine Schwester, die im Odenwald Frauenbeauftragte ist. Sie hatte das angebliche Verwaltigungsopfer bei dem Prozess gegen Arnold beraten und sie später noch öfter getroffen. Dabei fiel ihr irgendwann auf, dass Heidi K. offenkundig dauernd schwindelte. Sie wurde misstrauisch – und vertraute sich ihrem Bruder, dem Anwalt, an. Lierow recherchierte, forschte, suchte nach Zeugen, Bekannten, Menschen, die Heidi K. irgendwann erlebt hatten. Sie soll Krankheiten erfunden und Räuberpistolen erzählt haben, wie jene, dass Heidi K. kurz nach der angeblichen Vergewaltigung munter und fröhlich mit einer Bekannten Tennis spielte. Die Anzeige wegen Vergewaltigung hatte sie erst Tage später gestellt. Beweise hatte sie keine vorlegen können.