Mit sechs gewann Schauspielerin Shirley Temple einen Oscar. Sie war der einst bestbezahlte Star Hollywoods. Jetzt wird sie 85. Warum verschwand sie plötzlich von der Leinwand?

San Francisco. Es ist mehr als 60 Jahre her, dass der einst bestbezahlte Star Hollywoods zum letzten Mal vor der Filmkamera stand. In mehr als 50 Filmen spielte Shirley Temple mit, doch die meisten hatte sie schon vor ihrem zehnten Geburtstag abgedreht. Als Sechsjährige konnte sie mit einem Ehren-Oscar spielen. Von 1935 an war sie einige Jahre lang Hollywoods zugkräftigster Kassenstar. „Das beste kleine Mädchen der Welt“, wie der blonde Lockenkopf damals verehrt wurde, wird am Dienstag 85 Jahre alt.

Als Vierjährige war die Tochter eines Bankangestellten und einer Näherin in einer Tanzschule entdeckt worden, über Nacht wurde sie zum Star. Der singende, tanzende und steppende Dreikäsehoch verdiente zeitweise mehr als jeder andere Schauspieler in Hollywood. Als Neunjährige hatte sie ein höheres Jahreseinkommen als der Präsident von General Motors. Selbst US-Präsident Franklin D. Roosevelt verfiel ihrem Charme und dankte Shirley Temple dafür, dass sie „Amerika mit einem Lächeln durch die Depression führte“.

Mit Streifen wie „Der kleinste Rebell“, „Rekrut Willie Winkie“, „Stand Up and Cheer“ und „Armes, kleines reiches Mädchen“ spielte sie dem Studio 20th Century Fox über 30 Millionen Dollar Gewinn ein und rettete es so vor dem Bankrott.

Auch als kleiner Werbestar für Puppen, Haarmittel und Seife verdienten Shirley und ihre ehrgeizigen Eltern ein Vermögen. Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere erhielt sie täglich mehr als 2000 Fan-Briefe und musste sich vor „Lockenjägern“ verstecken, die es auf ihre Haare abgesehen hatten.

Ihre Karriere war aber ein Wettlauf gegen die Zeit. Als sie in die Pubertät kam, war es mit Kinoknüllern vorbei. „Ich war die älteste 14-Jährige der Welt“, klagte sie später einmal. 1940 floppte „The Blue Bird“ an den Kinokassen, ihre Kinderkarriere war beendet. Spätere Versuche, als junge Frau im Filmgeschäft Fuß zu fassen, etwa mit „So einfach ist die Liebe nicht“ (1946), endeten kläglich.

Bei den Dreharbeiten zu ihrem letzten Film, „Fort Apache – Bis zum letzten Mann“ mit John Wayne in der Hauptrolle, verliebte sie sich in den Schauspieler John Agar. Mit 17 war sie verheiratet, mit 19 Jahren wurde sie Mutter, doch nach ihrem Rückzug aus dem Filmgeschäft ging auch ihre Ehe schnell in die Brüche.

Das Schicksal anderer Kinderstars, nach dem frühen Ruhm im Ruin und Rausch zu enden, blieb Temple aber erspart. Frisch geschieden, lernte die 22-Jährige auf einer Party den Geschäftsmann Charles A. Black kennen. Er hatte nichts mit Hollywood zu tun, er habe sie nicht einmal erkannt, gestand er später einmal. „Er war die Liebe meines Lebens“, erzählte Temple 2005 dem „San Francisco Chronicle“, kurz nach Blacks Tod. Sie waren 55 Jahre miteinander verheiratet. Das Paar lebte mit seinen zwei Kindern abseits von Hollywood in Nordkalifornien, nahe San Francisco.

Über soziale Aktivitäten stieg Temple in die Politik auf. Als engagierte Republikanerin kandidierte sie 1967 für einen Sitz im amerikanischen Kongress und wurde nur knapp geschlagen. Präsident Richard Nixon machte sie zur Delegierten bei den Vereinten Nationen, dessen Nachfolger Gerald Ford ernannte sie zur Botschafterin in Ghana. Für Präsident George Bush bezog sie 1989 den Posten der Botschafterin in der damals noch existierenden Tschechoslowakei.

„Ich hatte ein wirklich großartiges Leben“, resümierte Temple schon vor zehn Jahren im „San Francisco Chronicle“. Druck habe sie als Kinderstar nie verspürt. „Ich war total damit beschäftigt, Spaß beim Drehen zu haben“, sagte der ergraute Star.

Temple zählt heute zu der immer kleiner werdenden Gruppe von Film-Ikonen aus Hollywoods goldenen Jahren. 1999 gab das renommierte American Film Institute (AFI) eine Liste der 50 größten „Leinwand-Legenden“ heraus. Die je 25 Frauen und Männer mussten schon vor 1950 vor der Kamera gestanden haben. Die Damenriege wurde von Katharine Hepburn (gestorben 2003), Bette Davis (1989) und Audrey Hepburn (1993) angeführt. Die Spitzenplätze der männlichen Legenden gingen an Humphrey Bogart (1957), Cary Grant (1986) und James Stewart (1997). Von den 50 Stars sind heute nur noch fünf am Leben: Kirk Douglas, 96, Sidney Poitier, 86, Lauren Bacall, 88, Sophia Loren, 78 – und Shirley Temple.