Niederländische Firma mischte in zwei Jahren Pferd in 50.000 Tonnen Rindfleisch. Das meiste längst gegessen?

Amsterdam. Im kleinen Städtchen Oss im südniederländischen Brabant ist der Betrieb des Fleischgroßhändlers Willy Selten. Gut 125 Mitarbeiter sind "Experten im Entbeinen und Verarbeiten von Fleisch", meldete das Unternehmen noch im März auf seiner Internetseite. Es verkaufte Fleisch an Zwischenhändler und fleischverarbeitende Betriebe in ganz Europa. Doch dann geriet das Unternehmen in Geldnot und soll zum billigen Pferdefleisch gegriffen haben. Das verkaufte der Händler dann als reines Rindfleisch, meldeten Mitarbeiter bereits anonym im Dezember den Behörden. Jetzt soll er auch für weitere 50.000 Tonnen falsch deklariertes Fleisch verantwortlich sein.

Als im Februar in Europa Pferdefleisch in Lasagne und Hackbällchen gefunden wurde, fiel auch der Name von drei niederländischen Unternehmen. Eins davon war der Handel von Willy Selten. Tatsächlich fanden die Kontrolleure am 15. Februar in zwei seiner Proben Pferdefleisch. Selten tat das als menschlichen Fehler ab. "So viel Aufregung, dabei geht es höchstens um ein Pferd", sagte er damals dem niederländischen Fernsehen. Doch bis zum Mittwochmorgen konnte er der Behörde nicht nachweisen, wo das Fleisch herkam, das er in den vergangen zwei Jahren verarbeitet und verkauft hatte.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Unternehmer wegen Betrugs, Urkundenfälschung und Geldwäsche. Der Sprecher von Verbraucherschutz-Kommissar Tonio Borg sagte am Donnerstag: "Die niederländischen Behörden haben bestätigt, dass Pferdefleisch mit Rindfleisch vermischt wurde." Die Niederlande hätten eine "umfassende betrügerische Kette" rund um eine niederländische Firma aufgedeckt.

Da der Großhändler die Herkunft des Fleisches nicht nachweisen konnte, wurden alle Kunden von den niederländischen Kontrollbehörden aufgefordert, die Ware aufzuspüren und wenn möglich zu vernichten. "Wenn man nicht weiß, woher das Fleisch kommt, ist es prinzipiell nicht für den menschlichen Verzehr geeignet", sagte Sprecher Benno Bruggink. Konkrete Hinweise auf Gefahren für Verbraucher gebe es aber nicht. Die Menge ist unvorstellbar. Sie entspricht etwa der Ladung von 2000 großen Lastwagen

Vom Skandal um falsch deklariertes Fleisch aus den Niederlanden sind in Deutschland nach bisherigen Erkenntnissen 124 Betriebe betroffen. Es seien praktisch alle Bundesländer tangiert, sagte Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU). Nach Angaben des Bundesverbraucherministeriums wurden über das europäische Schnellwarnsystem RASFF am Donnerstagvormittag die Namen der Betriebe ermittelt, die seit 2011 Ware von dem niederländischen Hersteller bezogen haben könnten. Betroffen seien Händler, weiterverarbeitende Betriebe sowie Metzgereien.

Ob auch falsch deklariertes Rindfleisch nach Hamburg gelangt ist, stand am Donnerstag noch nicht fest. Man überprüfe derzeit die Lieferungen, habe aber noch keine Ergebnisse, sagte ein Sprecher der Gesundheitsbehörde. Die Dokumente aus den Niederlanden seien noch unzureichend. Ein großer norddeutscher Fleischgroßhändler brachte gegenüber dem Abendblatt noch einen anderen Aspekt ins Spiel: "Ich gehe davon aus, dass die Niederländer jetzt erst ihre Akten aufarbeiten. Das könnte bedeuten, dass die 50.000 Tonnen noch zum bereits bekannten Skandal gehören, und das Fleisch ist längst verarbeitet." Rico Schmidt von der Hamburger Gesundheitsbehörde mag diese Ansicht nicht ausschließen: "Aber für eine Bestätigung der Mengenangaben fehlt uns zurzeit noch die Nachvollziehbarkeit." Auch Betriebe aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen haben möglicherweise falsch etikettiertes Fleisch aus den Niederlanden erhalten.

Angesichts der neuen Skandalmeldungen fordert der deutsche Einzelhandel stärkere Lebensmittelkontrollen. "Die staatlichen Kontrollen müssen besser vernetzt werden", sagte der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE), Stefan Genth, am Donnerstag in Düsseldorf. Die Zuständigkeit liege hierzulande bei den einzelnen Bundesländern und sei dort in den Kreisen angesiedelt. Die kriminellen Machenschaften machten aber an den Landesgrenzen nicht halt. Der Pferdefleisch-Skandal habe europäische Dimensionen.

Außerdem sollte die Zahl der staatlichen Lebensmittelkontrolleure erhöht werden, meinte der HDE. Der deutsche Einzelhandel führe zurzeit etwa 100-mal so viele Kontrollen bei Lebensmitteln durch wie der Staat. "Wir haben aus dem Skandal heraus gelernt, noch mehr zu machen, gerade in der Vorstufe", betonte Genth. Große Lebensmittelhändler hätten ihre Kontrollen verstärkt. Bei Eigenmarken gebe es auch umfangreichere Vorgaben an Lieferanten.