Experten: “Scandinavian Star“ wurde vor 23 Jahren für Versicherungsbetrug angezündet. 159 Menschen kamen bei dem verheerenden Brand ums Leben.

Kopenhagen/Oslo. Schlechter Schwedenkrimi oder wirklich "der schlimmste Massenmord in Nordeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg"? Wenn eine Expertengruppe zum verheerenden Brand auf der "Scandinavian Star" im Jahr 1990 recht behält, haben Besatzungsmitglieder auf der Nordseefähre mit 500 Reisenden damals auf offener See mehrere Brände gelegt. Ziel war demnach ein Versicherungsbetrug ihrer Arbeitgeber, glaubt das Gremium aus zwölf Experten 23 Jahre nach der Katastrophe.

159 Reisende starben in der Nacht zum 7. April 1990 bei der Unglücksfahrt der 142 Meter langen Fähre auf dem Skagerrak, die von Oslo nach Frederikshavn unterwegs war. Viele Passagiere wurde im Schlaf vom Feuer überrascht und erstickten in ihren Kabinen. Bis zum Untergang der "Estonia" viereinhalb Jahre später mit 857 Toten hat kein Schiffsunglück die Nordeuropäer seit 1945 so geschockt.

Was die Expertengruppe am vergangenen Wochenende im norwegischen Bergen an neuen Untersuchungsergebnissen vorlegte, hat sofort neue Schockwellen im Norden ausgelöst, weil es so unglaublich klang: Mitglieder der gemischt skandinavischen, philippinischen und portugiesischen Besatzung sollen angeblich die Brände im Auftrag ihrer Chefs gelegt haben, damit in Miami residierende amerikanische Eigner eine Versicherungsprämie für ihr schlecht ausgerüstetes und überversichertes Schiff einstreichen konnten.

"Man zündet ein Schiff nicht ohne Grund an", sagte der norwegische Schiffsinspektor Gisle Weddegjerde bei der Vorstellung des neuen Berichts. Er verwies auf die Auszahlung von 24 Millionen Dollar an die undurchsichtig organisierte Eignergruppe SeaEscape. Und er bezog sich auf Zeugenaussagen, wonach der Maschinenmeister der "Scandinavian Star" nach dem Brand einen "Umschlag mit 800.000 Kronen" (heute: gut 100.000 Euro) in die Hand gedrückt bekommen habe.

Wofür? Besatzungsmitglieder hätten, so stellen es die Experten dar, nach zahlreichen Aussagen Überlebender kräftig Hand angelegt, damit das Feuer sich auf dem Schiff ausbreiten konnte - statt es einzudämmen. So seien große Fenster mit Stühlen und Tischen eingeschlagen worden, berichtete der norwegische Überlebende Martin Grande in der Zeitung "Politiken": "Jeder weiß doch, dass man so praktisch Benzin ins Feuer gießt."

Andere hatten bezeugt, dass Besatzungsmitglieder Matratzen und anderes leicht brennbare Material auf die Gänge gezerrt hätten, wodurch das Feuer zusätzlich Nahrung bekam. Völlig schiefgegangen sei dabei, so die Experten, die Planung der Brandstifter: Sie hätten erst mit einem kleinen Brand die Evakuierung aller Passagiere und dann mit weiteren, größeren Feuern die Fälligkeit der Versicherungsprämie erzwingen sollen. Doch das erste Feuer sei zu mickrig geblieben, während das zweite schnell außer Kontrolle geraten sei. Als Chef der Expertengruppe sagt der schwedische Brandexperte Håkon Winterseth: "Dies war der größte Massenmord in Nordeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg."

Bisher galt nach Ansicht der Behörden ein selbst in seiner Kabine ums Leben gekommener Lkw-Fahrer als alleiniger Brandstifter. Der aus Dänemark stammende Mann war als Pyromane vorbestraft. Die neu eingesetzte Expertengruppe kommt zu einer anderen Einschätzung: Der Mann sei längst tot gewesen, als das letzte der mindestens vier Feuer ausbrach.

Unstrittig bleibt, dass die hohe Zahl der Toten ihre Ursache auch in Sicherheitsmängeln, Sprachverwirrung sowie fehlender Schulung der Besatzung hatte. Ein dänischer Reeder, dessen Geschäftsführer und der Kapitän wurden dafür mit je sechs Monaten Haft bestraft. Der Forderung der Expertengruppe nach einer neuen amtlichen Untersuchung schlossen sich Verantwortliche der bisherigen Ermittlungen an.

Aber es wurden auch skeptische Stimmen laut. Der dänische Sender DR berichtete, dass der beim Unglück als Feuerwehrchef auf die "Scandinavian Star" gerufene und jetzt an der Expertengruppe beteiligte Ingvar Brynfors in Bergen verkündete: "Ich bin von der Polizei nie verhört worden, obwohl ich als erster Feuerwehrmann auf das Schiff kam." Als ihm ein Reporter vorhielt, dass die Polizeiprotokolle vier Begegnungen mit ihm samt schriftlicher Korrespondenz enthielten, sagte Brynfors: "Vielleicht war das so, aber ich kann mich nicht erinnern."

Und noch eine weitere Aussage dürfte nicht nur geübte Krimileser ins Grübeln bringen. Schiffsinspektor Gisle Weddegjerde aus der Expertengruppe Brandstiftung auf der "Scandinavian Star" sagte, die ganze Aktion sei "von einer Menge Leute durchgeführt" worden. Und alle haben 23 Jahre dichtgehalten?