Gericht hebt Freispruch für “Engel mit Eisaugen“ auf - doch es ist fraglich, ob die US-Studentin in Italien erscheint

Rom. Neues Kapitel im Justizkrimi um den "Engel mit den Eisaugen": Die US-Studentin Amanda Knox muss sich für den Mord an einer britischen Austauschstudentin in Italien wieder vor Gericht verantworten. In Florenz kommt der spektakuläre Mord neu vor Gericht. Knapp fünfeinhalb Jahre nach dem Mord hob das höchste italienische Gericht am Dienstag den Freispruch für Knox - die wegen ihres Aussehens "Engel mit den Eisaugen" genannt wird - und ihren früheren Freund Raffaele Sollecito auf. Knox ist seit ihrem Freispruch im Herbst 2011 in den USA. Ihr Anwalt erwartete nicht, dass die 25-Jährige für den neuen Prozess anreisen wird.

Knox und dem Italiener Sollecito wird vorgeworfen, die britische Austauschstudentin Meredith Kercher 2007 im umbrischen Perugia bei ausufernden Sexspielen getötet zu haben. Nach einer ersten Verurteilung waren sie im Oktober 2011 in zweiter Instanz in einem Indizienprozess freigesprochen worden. Dagegen hatten die Familie des Opfers und die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt.

"Ich bin erschüttert", sagte Knox nach Angaben ihres Anwalts Carlo Dalla Vedova zu dem Urteil. Sie habe in den USA eine schlaflose Nacht in Erwartung der Entscheidung verbracht. Ihr stehe es frei zu reisen, aber aus verschiedenen Gründen gehe er nicht davon aus, dass sie nach Italien komme, sagte Vedova dem US-Sender CNN. Knox kann auch in Abwesenheit vor Gericht gestellt werden und Italien bei einer definitiven Verurteilung ihre Auslieferung aus den USA beantragen. In einer von angelsächsischen Medien verbreiteten Stellungnahme nennt Knox die Gerichtsentscheidung schmerzlich. Sie greift die italienischen Staatsanwälte an, deren Mordtheorie sich als "völlig unbegründet" erwiesen habe. Nötig sei eine objektive Untersuchung und eine fähige Strafverfolgung. In diese andauernde Justizschlacht gehe sie mit erhobenem Haupt und vertraue dabei auf die Wahrheit.

Auch der in Verona studierende Sollecito zeigte sich überrascht. Er habe gehofft, "man könnte einen Schlussstrich unter diese Sache ziehen". Das sagte der 29-Jährige seinem Verteidiger Luca Mauri, wie die Nachrichtenagentur Ansa berichtete.

Als die Entscheidung des Kassationsgerichts am Dienstag in Rom verlesen wurde, begrüßte es der Anwalt der Familie Kercher, Francesco Maresca, mit einer geballten Faust als Siegeszeichen. "Ich bin glücklich", sagte die Schwester der Getöteten, Stephanie, dem Anwalt. Der neue Prozess soll nicht wieder in Perugia, sondern in Florenz stattfinden, entschied das Kassationsgericht. Das Gericht hatte am Montag ungewöhnlich lange beraten und nicht, wie zunächst angenommen, bis zum Abend das Urteil gefällt. Die Staatsanwaltschaft hatte argumentiert, die Richter hätten in dem Berufungsverfahren mit dem Freispruch "den Kompass verloren". Eine Urteilsbegründung lag am Dienstag noch nicht vor.

Die 21 Jahre alte Austauschstudentin Kercher war am 2. November 2007 mit durchschnittener Kehle, vergewaltigt, halb nackt und von Messerstichen übersät in ihrer und Knox' gemeinsamer Wohnung in Perugia gefunden worden.

Zwei Jahre später waren Knox und Sollecito in einem reinen Indizienverfahren schuldig gesprochen und zu 26 und 25 Jahren Haft verurteilt worden. Im Oktober 2011 sprach sie ein Berufungsgericht aus Mangel an Beweisen frei, nachdem erhebliche Zweifel an DNA-Tests laut geworden waren. Die beiden Prozesse riefen weltweit ein großes Medieninteresse hervor - allein mehr als 400 Medienvertreter waren beim Freispruch 2011 dabei. Sie kamen vor allem aus Großbritannien - wegen der Ermordeten - und aus den USA, weil eine Amerikanerin vor Gericht stand. Die US-Medien sparten dann auch nicht mit bösen Seitenhieben auf "Unzulänglichkeiten" der italienischen Justiz. Vor allem Knox zog mit ihrem hübschen Gesicht das Interesse auf sich. Wegen ihrer blauen Augen und ihres undurchdringlichen Blicks tauften Medien sie "Engel mit den Eisaugen". Knox beteuerte stets, nichts damit zu tun zu haben, weinte und flehte vor Gericht. Für die Medien war die blonde, blauäugige Studentin zuerst ein "Teufel im Engelsgewand", dann die Unschuldige hinter Gittern.

Knox kehrte nach insgesamt vier Jahren in italienischer Haft in ihre Heimatstadt Seattle zurück, Sollecito nahm sein Studium wieder auf. Beide waren am Dienstag nicht dabei, als die Entscheidung verlesen wurde.

Geklärt werden muss nach dem Urteil des höchsten italienischen Gerichts immer noch, wer die britische Studentin umgebracht hat. In Haft sitzt der Ivorer Rudy Guede - jedoch wegen Mittäterschaft und nicht wegen Mordes. Er wurde zu 16 Jahren Haft verurteilt, die vom Kassationsgericht bestätigt worden waren. Bestätigt hat das oberste Gericht auch die Verurteilung von Knox zu einer dreijährigen Haftstrafe wegen Verleumdung des Barmanns Patrick Lumumba. Sie hatte ihn zunächst der Tat bezichtigt. Diese Strafe ist definitiv, Knox hat sie aber bereits in der U-Haft abgesessen.