Das Drama am Bolschoi-Theater, bei dem der Ballettchef fast erblindete, ist aufgeklärt. Es ging auch um eine Frau

Moskau. Auch wegen seines aufbrausenden Temperaments ist der Ballettstar Pawel Dmitritschenko ein beliebter Bösewicht auf der Bühne des weltberühmten Moskauer Bolschoi-Theaters. Der 29-Jährige tanzte zum Beispiel die böse Fee in "Schwanensee", vor allem aber zuletzt die finstere Titelrolle in "Iwan der Schreckliche" um den blutrünstigen Zaren des 16. Jahrhunderts.

Nun holt den Ausnahmetänzer mit knöchernem Gesicht und stechenden Augen der spektakulärste Kriminalfall aus der Welt des Tanzes ein: der Säureanschlag auf den Ballettchef Sergej Filin. Der 42-Jährige wird wegen schwerer Verätzungen auch sieben Wochen nach dem Überfall noch immer in der Augenklinik in Aachen behandelt.

Dmitritschenko gestand in einem Polizeivideo, das im Staatsfernsehen ausgestrahlt wurde, die ebenfalls gefassten Täter beauftragt zu haben. "Ja, ich habe den Auftrag für die Attacke gegeben, aber nicht in der Art, wie es geschah", sagte er. So brutal hätte das nicht laufen sollen. Ein Gericht soll an diesem Donnerstag über die Haftbefehle gegen die drei Männer entscheiden.

Ein Polizeisprecher erklärte, dass die Täter die Konzentration der Schwefelsäure noch erhöhten, "indem sie Wasser aus ihr herausgekocht" hätten. Filins Augen waren so schwer verätzt worden, dass deutsche und russische Spezialisten lange Zeit befürchteten, er könne erblinden.

Doch der Chef der mit mehr als 200 Tänzern größten Balletttruppe der Welt hofft, in diesem Sommer wieder arbeiten zu können - mit ausreichendem Augenlicht. Das Verbrechen aber legt Abgründe am weltberühmten Musentempel offen.

Noch ist nicht restlos geklärt, warum Dmitritschenko zu Mitteln griff, die außerhalb der Fantasiewelt von Bühnenwerken verboten sind. Der Absolvent der Moskauer Staatlichen Akademie für Choreografie hat am größten Staatstheater des Landes erreicht, wovon die meisten Tänzer auf der Welt nur träumen können.

Seine Sprungkraft in der Titelrolle des Balletts "Spartak" löste Stürme verzückten Jubels im Publikum aus. "Ich liebe es, Erster zu sein - und das ist doch so schwer", schrieb er unlängst in einem Internet-Blog. Er sei glücklich, mit Genies zu arbeiten.

Mit der Notiz im Internet reagierte er auf den Artikel einer Ballettkritikerin, die meinte, er habe als Zar Iwan, der Schrecken und Mitgefühl gleichzeitig auslösen müsse, nicht überzeugt. Selbst einfachste Liebesszenen erledige der Tänzer mit der "Sterilität im Stile eines Krankenpflegers", ätzte die Expertin, die Dmitritschenko dann wiederum als "verhinderte Tänzerin" bezeichnete.

Warum der Konflikt zwischen dem Solisten und seinem Chef zu einem Verbrechen führte, darüber wird inzwischen viel spekuliert. In dem Bolschoi-Drama taucht immer wieder der Name der Ballerina Angelina Woronzowa auf. Sie ist die Frau von Dmitritschenko und eine Tänzerin, auf die auch Filin immer schon ein Auge hatte, wie Medien berichten.

Der zum zweiten Mal verheiratete Filin soll die Tänzerin einst von der Provinz nach Moskau geholt, sie gekleidet, ernährt und ihr die Wohnung bezahlt haben, schrieb die Zeitung "Komsomolskaja Prawda". Das war zu einer Zeit, als er Ballettchef am Stanislawski-Theater war. Woronzowa soll ihm erst zugesagt haben, in seiner Truppe zu tanzen - und nahm dann doch ein Angebot am Bolschoi an.

Seit Filin selbst an das wichtigste Haus des Landes wechselte, sieht er sich dem Vorwurf ausgesetzt, er verwehre Woronzowa aus Rache Traumrollen wie die des Schwans in "Schwanensee". Zudem ist die Tänzerin Lieblingsschülerin des Startänzers und Ballettpädagogen Nikolai Ziskaridse, der mit Filin ebenfalls über Kreuz liegt.

Diese vielen Querverbindungen zwischen bisweilen exzentrischen Künstlerpersönlichkeiten müssen die Ermittler aufdröseln. Sicher wissen sie durch Auswertung von Telefonaten nur, dass Dmitritschenko mit seinen Komplizen Ort und Zeitpunkt der Überfalls vereinbarte. Filin hatte gleich nach dem Anschlag am 17. Januar, bei dem ihm der Angreifer mit Schwefelsäure Augen und Kopf verätzt hatte, den Täter in seinem beruflichen Umfeld vermutet.

"Ich kann nicht sagen, dass mein Mandant sehr überrascht war, als er erfuhr, wem das Verbrechen zur Last gelegt wird", sagte Filins Anwältin Tatjana Stukalowa der Agentur Interfax. Filin werde auf jeden Fall Schmerzensgeld einfordern. Vor Gericht wolle sie sich für die "härteste Strafe" einsetzen. Demnach drohen den Beschuldigten zwischen drei und zwölf Jahre Gefängnis wegen schwerer Körperverletzung - und Dmitritschenko zusätzlich das Ende der Weltkarriere.