Hells Angel in Oberhausen von zwei Kugeln getroffen. Übergriffe verfeindeter Gangs häufen sich. Kampf um Territorien

Duisburg/Düsseldorf. Wie fast jedes Mal fielen die Schüsse nachts, nur diesmal lag der Tatort nicht, wie so oft, in Duisburg, sondern im benachbarten Oberhausen. Zwei Kugeln trafen einen 23-Jährigen, der am späten Sonntagabend in seinem Auto auf dem Parkplatz vor einem Fast-Food-Restaurant saß.

Mehrere Projektile durchschlugen das schwarze Fahrzeug, einige drangen auch in die Hauswand eines Geschäfts in der Nachbarschaft ein. Der schwer verletzte junge Mann konnte flüchten, eine halbe Stunde später tauchte er in einem Duisburger Krankenhaus auf, wurde notoperiert und schwebte, wie die Polizei am Montag mitteilte, nicht mehr in Lebensgefahr. Er ist Rocker der Hells Angels. Und im Ruhrgebiet herrscht Rockerkrieg.

Die Polizei geht davon aus, dass gegnerische Rocker ihr Opfer verfolgt und am Schnellrestaurant zugeschlagen haben. Ob das Opfer etwas mit dem Oberhausener Rotlichtviertel zu tun hat, konnten die Ermittler zunächst nicht sagen. Nach Polizeiaussagen sollen die Hells Angels dort mitmischen. Das Viertel liegt aber nicht in der Nähe des Tatorts.

Noch in der Nacht versammelten sich vor dem Krankenhaus in Duisburg bis zu 70 Freunde des 23-Jährigen. "Bis auf eine kleine Gruppe, die kurz ins Foyer kam, haben sie aber alle brav draußen gewartet", sagte ein Polizeisprecher.

Um die Hintergründe der Tat zu klären und eine Eskalation des Konflikts zwischen Hells Angels, Bandidos und der niederländischen Gruppe Satudarah zu vermeiden, kontrollierten die Beamten umgehend sämtliche Szene-Treffpunkte in Duisburg. Auch in Oberhausen wird kontrolliert. Seit Längerem beobachtet die Polizei das Rockermilieu verstärkt, weil sich die gewalttätigen Übergriffe zwischen Mitgliedern der Organisationen häufen. "Da ist momentan viel Druck im Kessel", sagte ein Sprecher.

Die Polizei versucht mit nächtlichen Kontrollen und starker Präsenz, die Lage in den Griff zu bekommen. Als die niederländischen Satudarah-Rocker im vergangenen Sommer ein eigenes Chapter in Duisburg gründeten, war das als Kampfansage an die Hells Angels gedeutet worden. Die Befürchtungen sind inzwischen wahr geworden.

"Die Provokationen nehmen zu", sagt Thomas Jungbluth, als Kriminaldirektor im Landeskriminalamt für Organisierte Kriminalität zuständig. "Die Clubs haben sehr stark expandiert und viele neue Mitglieder rekrutiert. Das birgt Konfliktpotenzial." Außerdem gebe es Hinweise, dass sich Satudarah auch im Raum Kleve ansiedeln will. "Das könnte von den Hells Angels als Provokation empfunden werden."

Dennoch hätten der staatliche Druck und die Verbote der Hells Angels in Köln und der Bandidos in Aachen gewirkt. "Dort ist die Szene deutlich ruhiger geworden." Zudem hätten sich die Bandidos in Oberhausen und der Hells-Angels-Charter Midland in Solingen selbst aufgelöst, wohl weil sie Verbote befürchteten. Die Konfliktlinie verlaufe derzeit am Niederrhein: "Da passiert am meisten."

Und es könnte sich ein weiterer Konflikt anbahnen: In Bergheim wurde ein Mitglied der rockerähnlichen Black Jackets erschossen, die aus Baden-Württemberg kommend in Nordrhein-Westfalen Fuß gefasst haben. Auch wenn die Tat nicht den Rivalitäten zugerechnet wird, wirft sie ein Schlaglicht auf eine weitere Gruppe, die zwischen Rhein und Ruhr neu auf dem Markt ist und bei den Geschäften der Gangs kräftig mitverdienen will.

"Zudem mischt eine neue Rockergeneration die Szene auf", berichtet der Düsseldorfer Autor Jörg Diehl, der seit vielen Jahren im Rockermilieu recherchiert und gerade ein Buch über den "Rockerkrieg" geschrieben hat (DVA, erscheint am 4. März). "Die jungen Wilden machen, was sie wollen", sagt Diehl. "Motorräder spielen immer weniger eine Rolle. Und für die alten Silberrücken wird es schwieriger, die Situation zu beherrschen. Die strikte Rockerhierarchie ist kaum noch durchzusetzen."

Ein Indiz dafür ist der Wechsel ganzer Scharen von Rockern zwischen Bandidos und Hells Angels. "Früher wäre das undenkbar gewesen", sagt Diehl. So nehme inzwischen Ramin Y., der vor einem Jahr bei einer blutigen Massenschlägerei von 100 Rockern in Mönchengladbach als Bandido einen Hells Angel niedergestochen haben soll, inzwischen bei den Angels eine führende Rolle ein.

Die Rockerfehden haben in NRW auch schon Todesopfer gefordert. 2007 wurde ein Hells Angel in Ibbenbüren erschossen, 2009 starb Bandido "Eschli" in Duisburg. 2012 gab es in Mönchengladbach beinahe den nächsten Toten - bei einer Straßenschlacht von Rockern, zu der die Polizei auch Einheiten aus den umliegenden Städten heranzog, wurde ein Höllenengel lebensgefährlich verletzt.

Und erst vor einer Woche schossen Unbekannte auf ein Auto, das neben dem Clubhaus der Rockergruppe Satudarah in Duisburg geparkt war. Die Gruppe steht den Bandidos nahe.