Polizist vom Fall abgezogen: Er muss sich wegen versuchten Mordes verantworten. Neue Vorwürfe gegen Sportstar

Pretoria. Für die Ankläger ist es ein herber Rückschlag und für den an sich schon spektakulären Fall eine weitere bizarre Wendung: Der Chef-Ermittler im Verfahren gegen den mordverdächtigen südafrikanischen Paralympics-Star Oscar Pistorius, Polizeioffizier Hilton Botha, wurde am Donnerstag überraschend abgezogen und durch den ebenfalls hochrangigen Polizisten Vinesh Moonoo ersetzt. Zuvor war bekannt geworden, dass gegen Botha ein Verfahren wegen versuchten Mordes in sieben Fällen läuft.

Die Vorwürfe gegen Botha stehen im Zusammenhang mit einem Vorfall im Oktober 2011. Botha fuhr mit zwei Kollegen in einem Dienstwagen und eröffnete das Feuer auf einen Kleinbus. In dem Bus hätten sich sieben Personen befunden, deshalb laute der Vorwurf auf versuchten Mord in sieben Fällen, so die Behörden. Botha wehrt sich vehement gegen die Vorwürfe. Die Schüsse seien gefallen, weil der Busfahrer "uns von der Straße abdrängen wollte". Er habe sich in Ermittlungen zu einem Mordfall befunden. Das Verfahren wegen der Schüsse war zwischenzeitlich eingestellt worden, wurde nun aber wieder aufgenommen. Im Mai wird sich Botha nun selbst vor einem Gericht verantworten müssen.

Die Entwicklung schwächt die Position der Staatsanwaltschaft, die Pistorius vorsätzlichen Mord an seiner 29 Jahre alten Freundin Reeva Steenkamp vorwirft, und belegt den miserablen Zustand der südafrikanischen Strafverfolgungsbehörden eindrucksvoll. Weder Botha noch der für den Fall Pistorius zuständige Staatsanwalt Gerrie Nel wussten nach eigenen Angaben bis Mittwoch, dass das Verfahren gegen Botha wieder aufgenommen wurde, obwohl dies schon am 4. Februar geschehen war. "Ich kann mir das nur mit meinen Ermittlungen gegen Pistorius erklären", mutmaßte Botha am Donnerstagmorgen.

Nicht zuletzt wegen dieser Ereignisse geht die ursprünglich auf zwei Tage angesetzte Pistorius-Anhörung im Magistratsgericht von Pretoria an diesem Freitag in ihren vierten Tag. Der 26-jährige Pistorius verfolgte am Donnerstag nach Angaben von Prozessbeobachtern wie schon in den vorangegangen Tagen wortlos und bisweilen abwesend die Argumentation seines Verteidigers Barry Roux und der Staatsanwaltschaft. Bei der Anhörung wurden in Anbetracht des frühen Zeitpunkts ungewöhnlich viele Details präsentiert, obwohl etliche Beweismittel noch nicht abschließend ausgewertet sind. Für Pistorius' Antrag, auf Kaution freigelassen zu werden, ist es aber wichtig, ob er mit Vorsatz seine Lebensgefährtin erschossen hat. In diesem Fall gingen die Aussichten auf Freilassung gegen null. Richter Desmond Nair kann den Vorwurf aber noch auf Totschlag abmildern.

Pistorius beteuert, er habe seine Freundin, die sich zur nächtlichen Tatzeit im Badezimmer befand, für einen Einbrecher gehalten und deshalb viermal durch die geschlossene Tür geschossen. Staatsanwalt Nel argumentierte, der Fund von Steenkamps Handy in dem Badezimmer spreche dafür, dass sie nicht wie von Pistorius geschildert nachts zur Toilette gegangen, sondern vor ihm geflüchtet sei. Zeugen aus der Nachbarschaft wollen einen heftigen Streit gehört haben, bevor die Schüsse fielen.

Richter Nair muss zudem abwägen, ob Fluchtgefahr und Gefahr für die Öffentlichkeit und Zeugen im Besonderen bestehe, sollte Pistorius für die Dauer des Prozesses gegen Kaution freigelassen werden. Die Staatsanwaltschaft hielt der Behauptung der Verteidigung, wonach Pistorius keine Immobilien im Ausland besitze, eine Interviewaussage des Sportlers entgegen. Dort erzählte er locker plaudernd, ein Haus in Italien zu besitzen: "Ich verbringe vier Monate im Jahr dort."

Schwerer wiegen für Nair aber offenbar Fälle, in denen Pistorius erhöhte Aggressivität gezeigt hat. "Es gibt Hinweise, dass der Angeklagte drohte, jemandem die Beine zu brechen", sagte er. Der Richter erwähnte auch einen Vorfall in einem Restaurant in Johannesburg, wo Pistorius offenbar versehentlich einen Schuss abgefeuert hatte.

Der US-Sportartikelhersteller Nike lässt seine Zusammenarbeit mit Pistorius ruhen. "Nike hat seinen Vertrag mit Oscar Pistorius ausgesetzt", teilte das Unternehmen mit. "Wir glauben, dass man Oscar Pistorius ein ordentliches Gerichtsverfahren ermöglichen sollte, und wir werden die Lage weiter sehr genau beobachten." Auch andere Wirtschaftspartner Pistorius' haben bereits Werbekampagnen mit dem sechsfachen Goldmedaillen-Gewinner bei Paralympischen Spielen gestoppt und Plakate abgenommen.