Die Nichte des Sektenführers, Jenna Miscavige Hill, floh 2005 aus der Organisation. Jetzt enthüllt sie intime Details über Scientology.

Los Angeles. So sicher wie das Amen (oder was auch immer) in der Scientology-Kirche ertönt ihr Aufschrei, dass Ungläubige und vom Glauben abgefallene Mitglieder nichts als Lügen und böse Märchen über ihre erleuchtete, karitative Organisation verbreiteten. Die jüngste Beschuldigte heißt Jenna Miscavige Hill, sie ist die Nichte des Scientology-Führers David Miscavige und wurde in die Glaubensgemeinschaft hineingeboren.

In ihrem jetzt in den USA erschienenen Buch "Beyond Belief: My Secret Life Inside Scientology And My Harrowing Escape" erhebt Jenna Miscavige Hill, 29, die 2005 dem Kult entkam, schwere Vorwürfe. Kinderarbeit, Verhöre, Denunziation, Einschüchterung durch die organisationseigene Geheimpolizei "Special Affairs" hätten zum Alltag der Scientology-Kids gehört. Nicht ganz überraschend kommt dazu die Feststellung von Scientology, die Vorwürfe seien "lachhaft und falsch ... die Kirche hat nie Kinder missbraucht, vernachlässigt oder zu manueller Arbeit gezwungen ... sie schafft eine idyllische Umgebung für Kinder". Folgt man allerdings den Kindheitserinnerungen von Jenna Miscavige Hill, so musste sie als Sechsjährige (bis zu ihrem 12. Lebensjahr) Steine schleppen - "wir mussten Ketten bilden und gaben die Steine weiter" -, stundenlang Unkraut jäten und Befragungen ertragen nach Verrätern, die schlecht über Scientology sprächen.

Die gesammelten "Lügen" ehemaliger Scientology-Kids gleichen einander bis ins Detail. Astra Woodward, eine Kampfgefährtin von Miscavige Hill, berichtet, dass sie mit sechs Jahren das "auditing" begann, eine für die Organisation typische Technik zwischen meditativer und psychotherapeutischer "Reinigung". Mit 14 Jahren unterschrieb sie einen "Milliardenjahresvertrag", der sie auf ewig an den obskur-kosmologischen Kult binden sollte.

Jennas Eltern verließen Scientology, als ihre Tochter 16 Jahre alt war. Es war Jennas Entscheidung zu bleiben: "Die Kirche war mein Leben, dort waren meine Freunde", sagte sie zu Pierce Morgan im TV-Sender CNN. Sie habe ihre Mutter nur zweimal in sechs Jahren gesehen. Gezielte Entfremdung zählt zu den erfolgreichen Isolationsritualen der Organisation. Es sind provozierte oder in Kauf genommene Brüche mit Partnern, Freunden oder Eltern. Wer von Widerstand gegen Scientology in seiner Familie berichtet, wird aufgefordert, sich in Kursen von schlechten Einflüssen zu befreien.

Es ist bemerkenswert, dass weite Teile der amerikanischen Öffentlichkeit sich erst kritisch mit Scientology zu befassen scheinen, seit der Ehestreit samt Scheidung der Schauspieler Tom Cruise und Katie Holmes die Boulevardmedien beschäftigt. Die Menschen bewegte der Verdacht, Holmes habe sich von Cruise getrennt, als sie fürchten musste, das gemeinsame Töchterchen Suri werde Verhören und Entfremdungstechniken ausgesetzt wie andere Scientology-Kinder. Für jeden, der halbwegs klar bei Verstand und in der Lage ist, eine Google-Suche über Scientology zu starten, stellt sich ohnehin die Frage, wie es der Organisation offenbar immer wieder gelingt, Mitglieder und angeheiratete Partner wie Katie Holmes (und vor ihr Nicole Kidman) mit zunächst derart blinder Begeisterung zu schlagen.

Noch liegt die Veröffentlichung von Lawrence Wrights Buch "Going Clear: Hollywood And The Prison Of Belief" keinen Monat zurück, in dem Paul Haggis, 59, als Kronzeuge auftritt. Der gefeierte Drehbuchautor ("Crash"; "Million Dollar Baby") gehörte Scientology 34 Jahre lang gläubig und kritiklos der Führungselite an, bis er sich zum empörten und öffentlichen Bruch entschloss. Warum? Weil die "Kirche" sich gegen die Schwulenehe starkmachte und Haggis zwei lesbische Töchter hat. Anderes hatte ihn nie gestört.

Sowohl Haggis wie Miscavige Hill scheinen zu erwarten, Scientology werde sich mit einem fingierten Skandal oder "kleinen Unfällen" rächen. Man muss ihre Courage daher bewundern. So wie man aber auch ihre Borniertheit über Jahrzehnte - Haggis schloss sich der "Kirche" freiwillig als erwachsener Mann an -, verachten darf. Scientology bietet seinen VIP-Mitgliedern nicht nur eigene feine Eingänge und Schulungsräume und erstklassige Restaurants. Die Organisation hält offenbar auch alles Unerquickliche, etwa die Bestrafung "sündiger" Mitglieder, von ihnen fern.

Über ihren Onkel David Miscavige, der nach dem Tod des Scientology-Gründers Lafayette Ronald Hubbard(1911-1986) die Führung an sich riss, weiß Jenna Miscavige Hill nichts Gutes zu berichten. Mit zwölf galt David als "Wunderkind" bei Scientology. Keine zehn Jahre danach übernahm "Little Napoleon", wie der 1,65 Meter kleine Mann genannt wurde, die Macht. Der enge Freund und Trauzeuge von Tom Cruise wird von Abtrünnigen als grausam und gewalttätig beschrieben. Jenna Miscavige Hill nannte ihn Pierce Morgan gegenüber einen "bösen Mann", der allerdings zwei Gesichter gehabt habe. Sie habe seit ihrer Flucht 2005 keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt.