Im Prozess um den Amoklauf von Winnenden hat eine Nachhilfelehrerin den Täter rückblickend auch als „abgrundtief verzweifelt“ bezeichnet.

Stuttgart. Im Prozess gegen den Vater des Amokläufers von Winnenden haben mehrere pädagogische Begleiter von Tim K. überwiegend entlastende Aussagen gemacht. Seine Nachhilfelehrerin sagte am Freitag vor dem Landgericht Stuttgart, Tim sei „einer der höflichsten Schüler“ gewesen. Sie habe in den viereinhalb Jahren Nachhilfeunterricht bei ihm keine Neigung zur Gewalt festgestellt. Erst nach der Tat habe sie wahrgenommen, welche „abgrundtiefe Verzweiflung“ in dem Jungen gesteckt haben müsse.

Die 58-jährige Sozialpädagogin räumte ein, dass sie ihm gegenüber missbilligt habe, wie viele Stunden er sich mit gewalttätigen Computerspielen befasste. Sie sei aber der Meinung, dass ein „Ballerspiel“ noch keinen Amokläufer mache. Indizien für Wutausbrüche habe es gegeben, als Tim einmal ein ausgearbeitetes Referat vor ihren Augen zerriss, das er in der Schule halten sollte. Er sei von „massiven Versagensängsten“ geplagt gewesen. Dem weiblichen Geschlecht gegenüber habe er sich zunehmend unterlegen gefühlt.

Zwei Lehrer am Berufskolleg, das Tim zuletzt besuchte, stellten ihn als unauffälligen und zurückgezogenen Schüler dar. Sein Klassenlehrer berichtete vom Eindruck, dass sich Tim in der Schülergemeinschaft wohlgefühlt und in der Pause immer mit Anderen Poker gespielt habe. Der Lehrer in Mathematik, wo Tim nur schlechte Noten erreichte, erzählte, dass der Jugendliche ein Hilfsangebot mit den Worten „Lassen Sie mich bitte in Ruhe“ zurückgewiesen habe. Diese deutliche Reaktion habe ihn überrascht, doch sei Tim dabei ganz ruhig und nicht patzig gewesen.

Während der Verhandlung wurde erneut aus Protokollen von Unterhaltungen zitiert, die die jüngere Schwester Tims im Internet geführt hatte. Darin äußerte sie sich seit Dezember 2007 besorgt über den Bruder, der sich manchmal betrunken habe, nur noch zu Hause gesessen habe und außerdem von den Eltern extrem bevorzugt worden sei. Im April 2008 habe ihr der Vater erklärt, dass Tim wahrscheinlich manisch depressiv sei. Gleichzeitig beschrieb sie ihren Bruder als „nicht aggressiv“.

In der Verhandlung wurde auch die Aussage des nach eigenen Worten besten Freundes von Tim K. behandelt. Bei einer Vernehmung am Tag nach der Tat gab dieser zu Protokoll, Tim habe ihm in der achten Klasse echte Waffen im Tresor seines Vaters gezeigt. Es ließ sich nicht klären, ob Tim den Safe mit einer Zahlenkombination oder mit einem Schlüssel öffnete. Der Freund hatte ausgesagt, Tim habe ein starkes Interesse an Gewaltvideos und -spielen gehabt, sei selbst aber nicht gewalttätig gewesen.

Der Vater des Winnender Amokschützen muss sich seit dem 14. November zum zweiten Mal vor Gericht verantworten, weil der Bundesgerichtshof einen entscheidenden Verfahrensfehler im Umgang mit einer wichtigen Zeugin während des ersten Prozesses sieht. Dem Sportschützen Jörg K. droht eine erneute Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung. Zwar lautet die Anklage nur auf Verstoß gegen das Waffengesetz, aber der Vorsitzende Richter hatte zu Prozessbeginn eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung nicht ausgeschlossen.

Der 17-jährige Tim K. hatte mit der Waffe und Munition seines Vaters am 11. März 2009 in seiner ehemaligen Schule in Winnenden bei Stuttgart neun Schülerinnen und Schüler sowie drei Lehrerinnen erschossen. Auf der Flucht tötete er drei weitere Menschen, bevor er sich selbst das Leben nahm. Sein Vater Jörg K. hatte die Mordwaffe unverschlossen aufbewahrt. Im Februar 2011 wurde der ehemalige Unternehmer wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz und wegen fahrlässiger Tötung zu 21 Monaten auf Bewährung verurteilt.