13 Tage kämpfte ein junges Vergewaltigungsopfer ums Überleben. Nun ist die Frau tot. Die Menschen in Indien sind wütend und traurig.

Singapur/Neu-Delhi. Die Mitte Dezember brutal vergewaltigte Inderin ist in einer Klinik in Singapur gestorben. Die 23-jährige Studentin erlag ihren schweren inneren Verletzungen, wie das Krankenhaus am Sonnabend mitteilte. Der Fall hatte in den vergangenen Tagen Massenproteste in ganz Indien ausgelöst.

Nach der Nachricht vom Tod der jungen Frau riefen Politiker und Polizei die Bevölkerung zu Ruhe und Besonnenheit auf. Dennoch gingen die Demonstrationen für einen besseren Schutz von Frauen weiter. Indiens Premierminister Manmohan Singh erklärte, er sei „tieftraurig“ über den Tod der Frau. „Ich bete für den Frieden der verstorbenen Seele und hoffe, dass ihre Familie die Kraft haben wird, diesen schmerzlichen Verlust zu ertragen“, erklärte Singh. Er und Indiens Präsident sprachen den Angehörigen ihr Beileid aus.

Die 23-Jährige war am 16. Dezember in einem Stadt-Bus in der Hauptstadt Neu Delhi über eine Stunde lang von mehreren Männern vergewaltigt und mit Eisenstangen gefoltert worden. Danach wurde sie schwer verletzt aus dem fahrenden Bus geworfen. Am Donnerstag war das Opfer in ein Krankenhaus in Singapur geflogen worden, wo sie nach mehreren Notoperationen starb. Fünf Männer und ein Jugendlicher sind nach der Tat festgenommen worden und sitzen seitdem in Haft. Sie werden nach Angaben der Nachrichtenagentur IANS nun des Mordes angeklagt.

Einige Mediziner in Indien hatten den Transport der 23-Jährigen nach Singapur als riskant bezeichnet und erklärt, sie erhalte bereits die bestmögliche Behandlung im eigenen Land. Andere Ärzte sagten indes, die Behandlungsmöglichkeiten in Singapur seien besser gewesen. Dennoch kamen Gerüchte auf, die Regierung habe die Frau außer Landes bringen wollen, um möglichen Protesten im Falle ihres Todes etwas Luft zu nehmen.

Regierung und Polizei baten die Menschen, ruhig und friedlich zu bleiben. Bereits vor einer Woche hatten sich an der Tat überall im Land Proteste entzündet, die in Delhi auch in Gewalt umschlugen. Bei den Demonstrationen vor Weihnachten waren mehr als 100 Menschen verletzt worden, ein Polizist starb.

Politiker aller Fraktionen hatten in den letzten Tagen weit mehr Kritik an den Demonstranten als an den Tätern geübt. Der Sohn des indischen Präsidenten, Abhijit Mukherjee, rückte die protestierenden Frauen in die Nähe von Prostituierten. Später entschuldigte sich der Parlamentsabgeordnete für seine Äußerung.

Ministerpräsident Singh war heftig dafür kritisiert worden, dass er sich lange nicht zu der Vergewaltigung geäußert hatte. Nach den Protesten hatte er dann aber zur Ruhe gemahnt und die Tat ein „monströses Verbrechen“ genannt. In einer unüblichen TV-Ansprache hatte er zudem versichert, der werde alles tun, um Schutz und Sicherheit für Frauen in Indien sicherzustellen.

In der Hauptstadt hatte die Polizei bei Protesten gegen die Tat Tränengas, Gummiknüppel und Wasserwerfer eingesetzt. Zudem wurden Bahnhöfe in der 16-Millionen-Metropole geschlossen. Für Empörung hatten auch Äußerungen von Abhijit Mukherjee gesorgt, einem Abgeordneten der regierenden Kongress-Partei und Sohn des indischen Präsidenten. Er hatte die Demonstrationen nach der Vergewaltigung als „pinkfarbene Revolution“ von stark geschminkten Frauen bezeichnet. Später hatte er seine Äußerungen bedauert, doch vor allem auf den Internet-Seiten sozialer Netzwerke wurden seine Worte wütend kommentiert.

Auch am Sonnabendmittag versammelten sich mehrere hundert Menschen mit Plakaten und Mikrofonen in der Hauptstadt Neu Delhi. „Wir wollen Gerechtigkeit“, riefen sie. Andere hatten sich schwarze Tücher über den Mund gebunden. „Wir haben genug geschrien“, sagte eine junge Frau mit Tuch. „Jetzt wollen wir Taten sehen.“

Proteste im Regierungsviertel und rund um das Wahrzeichen India Gate wurden erneut untersagt. Spezialeinheiten der Polizei riegelten zahlreiche Straßen ab und wiesen den Demonstranten zwei Treffpunkte zu. Zehn Metro-Stationen blieben geschlossen, um Kundgebungen vom Parlament und Präsidentenpalast fernzuhalten.

Die Demonstranten forderten in ihren Reden, die Bewegung dürfe an diesem Tag nicht enden. „Ich hoffe, dass ein Wandel passiert in dieser Gesellschaft, die Frauen so gering schätzt“, sagte die Studentin Aswathy Senan. „Sie ist tot. Aber ihr Kampf muss jeden aufwecken, jetzt etwas zu tun“, stand auf einem der Plakate. Und auf einem weiteren: „Die Flamme, die sie entzündete, soll nie mehr verlöschen.“

Neu Delhis Chef-Ministerin Sheila Dikshit bat vor TV-Kameras darum, die junge Frau friedlich ruhen zu lassen. Sie versicherte wie auch Präsident Mukherjee, dass alles unternommen werde, damit sich ein solcher Fall nie wiederhole. Premier Singh bat, die Debatte solle „leidenschaftslos“ geführt werden – auch wenn er Verständnis für die Energie der Jugend habe. Die Regierung prüfe das Strafmaß für Vergewaltiger.

Neben einer Reihe von anderen Maßnahmen hatte die Regierung am Freitag auch versprochen, eine Datenbank vorzubereiten, in der alle verurteilten Vergewaltiger des Landes erfasst werden. Ihre Namen, Porträtfotos und Adressen sollen auf Internetseiten der Polizei öffentlich sein. In Neu Delhi richtet die Polizei eine spezielle Notrufnummer für Frauen ein. Auch sollen Straßen besser beleuchtet und Busse häufiger kontrolliert werden.

Die Leiche der 23-Jährigen sollte im Lauf des Tages nach Indien zurückgebracht werden. Auch die Eltern, die in den letzten Stunden bei der Studentin waren, seien mit an Bord, sagte Indiens Botschafter in Singapur, T.C.A. Radhavan, auf einer Pressekonferenz. Die Regierung übernehme alle Kosten für Behandlung und Transport.

Neu Delhi gilt als eine der gefährlichsten Städte für Frauen. Sexuelle Übergriffe werden oft nicht angezeigt, weil die Taten selten geahndet werden. In Indiens streng konservativer Gesellschaft wird die Schuld an einer Vergewaltigung zudem oft dem Opfer gegeben. In der indischen Hauptstadt wird laut Polizeidaten alle 18 Stunden eine Vergewaltigung gemeldet. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. Die Zahl der Vergewaltigungen in Indiens stieg offiziellen Daten zufolge zwischen 2007 und 2011 um knapp 17 Prozent an.