110 Tiere verbringen ihren Lebensabend im US-Staat Louisiana in relativer Freiheit. Zuvor lebten sie Jahre in medizinischen Forschungslabors.

London/New York. Für mehrere Dutzend Schimpansen in Amerika wird 2013 auf jeden Fall ein gutes neues Jahr. Nach oft jahrzehntelanger Tortur in medizinischen Forschungslabors winkt 110 Menschenaffen ein paradiesischer Südstaaten-Ruhestand unter Artgenossen und liebevoller Betreuung durch Pfleger, die jedes Tier mit Namen anreden.

Die Aussicht verdanken die genetisch engsten Verwandten des Menschen auch der unermüdlichen Fürsprache von Jane Goodall, 78. Die Primatologin aus England, deren Leben der deutsche Regisseur Lorenz Knauer 2010 ("Jane's journey - die Lebensreise der Jane Goodall") mit Pierce Brosnan und Angelina Jolie verfilmt hat, prangert Experimente an Schimpansen als Folter und wissenschaftlich unergiebig an. "Ein großer Prozentsatz der Tests hat keinen Nutzwert."

Nachdem Gabon (Westafrika) unlängst ein Verbot erlassen hat, sind die Vereinigten Staaten das letzte Land, in dem medizinische Versuche an Schimpansen noch rechtlich zulässig sind; lediglich die Aufzucht neuer Versuchstiere ist untersagt. Nach amtlichen Zahlen werden mehr als 930 "Chimps" im Rahmen von 40 Forschungsprojekten zu Testzwecken gehalten - 563 an nationalen Institutionen, der Rest in der Pharmaindustrie. Heutzutage dienen die meisten Experimente dem Bestreben, einen Impfstoff gegen die Leberkrankheit Hepatitis C zu entwickeln, an der weltweit 200 Millionen Menschen leiden. Experten sind jedoch zuversichtlich, dass die Rolle der Schimpansen in ein paar Jahren von Mäusen übernommen werden kann, deren Leber sich mit dem Virus infizieren lässt.

Das eröffnet, 70 Jahre nach den ersten biomedizinischen Versuchen an Schimpansen, die Hoffnung auf die Erlösung der Großaffen von einem qualvollen Dasein. Ein krasses Beispiel ist Rosie, 30, Versuchstier an einem Labor in Texas: Neben zahllosen schmerzhaften Spritzen und Blutentnahmen hat die Affendame bisher 15 Leberbiopsien sowie 99 Sedierungen (Ruhigstellungen) über sich ergehen lassen müssen, die wiederholt schwere Krampfanfälle ausgelöst haben. Während Schimpansen in freier Wildbahn eine Lebenserwartung von bis zu 60 Jahren haben, werden ihre Artgenossen in einer Versuchsanstalt in New York im Schnitt nur 35 Jahre alt. Mancherorts sind die von Natur aus geselligen Tiere in Einzelkäfige gepfercht, die mit den Maßen 1,52 mal 2,13 mal 2,13 Meter gerade mal den Mindestvorschriften des US-Landwirtschaftsministeriums genügen. Es wird von Schimpansen berichtet, die wegen der langfristigen Isolierung den Verstand verloren haben.

So ist es denn auch mehr als bloß das körperliche Wohlergehen der Schimpansen, wofür sich die Versuchsgegner einsetzen. "Ihre Ähnlichkeit mit uns Menschen ist nicht auf die Physiologie und das Immunsystem beschränkt, sagt Goodall. "Schimpansenbabys haben die gleichen Bedürfnisse wie ihr menschliches Pendant. Sie brauchen es, in die Arme genommen und geliebt zu werden. Dass man zu ihnen spricht und mit ihnen spielt. Sie müssen mit anderen Schimpansen zum Spielen und Herumtollen interagieren. Sie brauchen Spielzeug und Anregungen, damit sie sich nicht langweilen und abschalten."

Das alles erwartet die 110 Versuchstiere, die das Forschungslabor der Universität Louisiana auf Anweisung der Nationalen Gesundheitsinstitute demnächst in den Ruhestand schickt. Ihre neue Heimat wird der 1995 eröffnete "Chimp Haven", eine 80 Hektar große Schimpansen-Oase mit viel Gras, hohen Bäumen, Felsbrocken, einem großen See und angenehm feuchtwarmem Klima inmitten eines Naturparks, 25 Kilometer südwestlich von Louisianas drittgrößter Stadt, Shreveport.

In Gesellschaft von 120 pensionierten Schimpansen, die bereits seit mehreren Jahren dort leben, werden die Neuankömmlinge die Zeit in relativer Freiheit verbringen. "Aufgestanden wird bei Sonnenaufgang. Aber wie die Tiere den Tag verbringen, bleibt ihnen selbst überlassen", sagt ein Mitarbeiter. Eine Fachklinik wacht über ihre Gesundheit. Sie werden Gelegenheit haben, Gruppen zu bilden, Freundschaften zu schließen und einander beim Schlafnestbau zu helfen. Sie werden zusammen spielen und lachen. Jane Goodall hofft, dass ihnen in den kommenden Jahren bis zu 300 weitere Versuchstiere ins Paradies folgen werden. "Wir sind es den Schimpansen schuldig", findet auch die "Chimp Haven"-Direktorin Linda Brent. "Sie haben Großes für die Menschheit geleistet und haben einen glücklichen Ruhestand verdient."