Die Briefe deutscher Wehrmachtssoldaten wurden 1941 auf der Insel Jersey gestohlen

Mühlheim am Main. Für Engelbert Josef Bergmann, 55, war es ein ganz besonderer Tag. Der Landwirt aus Mühlheim am Main erhielt am Dienstag Besuch von vier Postbeamten - zwei kamen von Jersey und zwei aus Deutschland. Sie überreichten dem Hessen Weihnachtsgrüße, die an seinen Großvater Josef adressiert waren - 71 Jahre, nachdem ein Nachbar sie während des Zweiten Weltkrieges auf der englischen Kanalinsel geschrieben hatte. Jersey wurde zusammen mit Guernsey und Alderney 1940 nach dem Fall Frankreichs von der deutschen Wehrmacht besetzt.

Als Bergmann die vergilbte, mit roten Segelschiffen und dem Schriftzug "Greetings" verzierte kleine Karte in Händen hielt, schluckte er. Er las die säuberlich mit Hand geschriebenen Zeilen zum ersten Mal: "Frohe Weihnachten und ein gesundes neues Jahr wünscht Soldat Emil Adam. Viele Grüße an Maier, Fischer und Melcher" steht links in säuberlicher Schrift. Rechts sind Weihnachtsgrüße in englischer Sprache eingedruckt.

Bergmann war über die harmlosen Worte erleichtert. "Man weiß nicht so genau ...", beschrieb er seine zwiespältigen Gefühle, als ihn die Post vor ein paar Wochen mit der Nachricht der verspäteten Weihnachtspost überraschte. Ihm ging es wie anderen Empfängern. "Manche wollen die Briefe nicht", sagt ein Mitarbeiter der Deutschen Post. Auch die Tochter von Emil Adam verweigerte die Annahme. Wohl, weil sie mit dem "alten Kram" nichts zu tun haben wollte. Bei anderen sei die Angst groß, die Grüße aus dem Zweiten Weltkrieg könnten nationalsozialistisches Gedankengut offenbaren, so die Post.

Um offenbar Einblick in genau solche Ansichten zu bekommen, stahl eine Gruppe junger Leute die Weihnachtsgrüße der deutschen Soldaten im Dezember 1941 aus einem Feldpostamt auf der Insel Jersey. "Es waren wohl Teenager, die es als eine Form des Widerstands gegen die deutschen Besatzer verstanden", meint der Vertreter von Jersey Post, Michael McNally. Insgesamt 86 Briefe verschwanden. Erst 2006 tauchten sie wieder auf. Ein am Diebstahl beteiligter Mann übereignete sie dem Inselarchiv. Die Post wurde geöffnet, ihr Inhalt übersetzt, Kopien angefertigt. "Das Archiv hat uns in diesem Jahr gebeten, so viele Briefe wie möglich an die Empfänger oder ihre Nachkommen zuzustellen", sagt McNally. Gemeinsam mit der Deutschen Post, dem Roten Kreuz, Militärhistorikern und Schriftsachverständigen fanden sich bislang zehn Adressaten.

Der Mühlheimer ist bundesweit der erste Familienangehörige, der nun nach Angaben der Post den original Weihnachtsbrief erhalten hat. Andere sollen die Grüße noch vor den Feiertagen bekommen, vier Schreiben gingen schon am Dienstag nach Offenbach. Die am 16. und 17. Dezember 1941 verfassten Briefe haben damit fast auf den Tag genau 71 Jahre später ihr Ziel erreicht.

Engelbert Josef Bergmann will jetzt die Weihnachtsgrüße von der Insel, wie vom Schreiber gewünscht, auch den erwähnten Nachbarsfamilien ausrichten.