London. Auch heute, an ihrem 109. Geburtstag, sitzt Alice Herz-Sommer in der Londoner Einzimmerwohnung am Klavier, spielt bis zu drei Stunden Bach und Beethoven. "Musik ist die Offenbarung des Göttlichen", sagt sie, "versetzt uns ins Paradies." Unter den Nazis hat Musik die nicht religiöse Prager Jüdin vor der Ermordung bewahrt und nun zur ältesten lebenden Holocaust-Zeitzeugin der Welt gemacht.

1943 wurden die erfolgreiche Pianistin, ihr Mann und der sechsjährige Sohn nach Theresienstadt verschleppt. Obwohl von den 156 000 Juden dort nur 17 500 das Kriegsende erlebten, diente das KZ als Vorzeigelager für Rote-Kreuz-Inspektionen, weshalb die Insassen regelmäßig mit Klassik-Abenden "unterhalten" wurden. "Wir alle waren so geschwächt", erinnert sich Alice Herz-Sommer an ihre rund 150 Konzerte." "Aber die Musik war unsere Nahrung. Sie erhielt uns am Leben."

Für die Frau, deren Mann 1945 in Dachau an Typhus starb, die mit 83 Jahren an Krebs erkrankte und mit 98 ihren Sohn verlor, ist dies auch heute noch das Elixier: "Ich bin allein, aber nicht einsam, weil mein Leben reich ist durch Musik. Musik hat mir das Leben gerettet." Musik und ein angeborener Optimismus: "Ich weiß um die schlimmen Dinge im Leben, doch ich schaue immer nur auf die guten. Deshalb bin ich auch so alt geworden."