Hurrikan “Sandy“ bedroht die Ostküste der USA. Präsident ruft Notstand aus. Handel an der Wall Street ausgesetzt

Washington/New York. Tausende Flüge fallen aus, U-Bahnen stehen still, Sandsäcke schützen die Wall Street, Schulen, Unis, Büros, Geschäfte, Lokale und Theater bleiben bis auf Weiteres geschlossen. Bürger, Behörden und Firmen rüsten sich an der US-Ostküste gegen den wohl größten Wirbelsturm über dem Atlantik seit Beginn der Messungen. Hurrikan "Sandy" hatte bereits vor seinem Aufprall auf das mit Überflutungen und massiven Stromausfällen katastrophale Zustände ausgelöst. Der Wirbelsturm steuerte gegen Mitternacht (MEZ) auf den Süden New Jerseys mit der Spielermetropole Atlantic City zu. Er peitschte Wasser durch die Straßen der Stadt, Teile der Strandpromenade wurden beschädigt.

Auch in anderen Küstenabschnitten machte sich "Sandy" mit sintflutartigen Regenfällen, hohem Wellengang und Überflutungen bemerkbar. Dem TV-Sender CNN zufolge waren bereits am Nachmittag rund 765 000 Menschen in mehreren Bundesstaaten von der Stromversorgung abgeschnitten.

Auch in der Millionenmetropole New York brachte der Sturm das öffentliche Leben schon vor seiner Ankunft fast zum Stillstand. Vorsichtshalber blieben Schulen, Behörden und öffentliche Einrichtungen bereits am Montag geschlossen. Die Wall Street machte erstmals seit 27 Jahren wegen Sturms dicht. Busse fuhren nicht, und die U-Bahn wurde ebenso wie viele Straßentunnel aus Angst vor Überflutung gesperrt. Nach Einschätzung des Hurrikanzentrums in Florida sollte das Auge des Hurrikans noch im Laufe der Nacht zum Dienstag Manhattan erreichen. "Sandy" bewegte sich zuletzt mit etwa 30 Kilometern in der Stunde auf die US-Küste zu. Die Winde in seinem Wirbel erreichten aber 150 km/h.

Experten befürchten, dass der Hurrikan auf zwei winterliche Wetterfronten namens "Frankenstorm" stößt. Dieser Supersturm, der auf dem Atlantik in seinem Zentrum Windgeschwindigkeiten von mehr als 280 Kilometer pro Stunde erreichte, könnte dann in einem 1300 Kilometer breiten Streifen von der Ostküste bis zu den Großen Seen ein Chaos anrichten. Bis zu 3,30 Meter hohe Flutwellen drohen Tod und Verwüstung in eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der USA zu bringen. Bis zu 300 bis 400 Liter pro Quadratmeter Niederschlag werden erwartet. Allein die Sturmschäden können sich auf mehr als drei Milliarden Dollar (2,3 Milliarden Euro) belaufen.

New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg forderte die Bürger auf, zu Hause zu bleiben. "Es ist gefährlich da draußen. Vielleicht ist das einfach ein guter Tag, vor dem Fernsehen zu sitzen und ein Sandwich zu essen." Dieser Hinweis gelte aber nicht für etwa 400 000 Menschen im Evakuierungsgebiet. "Wenn Sie in Zone A leben, gehen Sie sofort!", sagte er zu den Einwohnern der direkt an der Küstenlinie gelegenen Häuser. "Es kann sehr schnell zu spät sein." Insgesamt könnten rund 50 Millionen Menschen die Auswirkungen "Sandys" zu spüren bekommen. Tausende Flüge wurden gestrichen, darunter Verbindungen nach Deutschland. Betroffen ist auch der einzige Direktflug von Hamburg in die USA. Gestern und heute wurde der Abflug wegen des Monstersturms gestrichen.

Vor der Präsidentenwahl am 6. November gefährdet "Sandy" auch Terminpläne im Endspurt des Wahlkampfs. Sowohl US-Präsident Barack Obama als auch sein Herausforderer Mitt Romney sagten Auftritte ab. Obama rief für die Millionenmetropolen Washington und New York sowie die Bundesstaaten Maryland und Massachusetts den Notstand aus. "Gott steh uns bei", sagte er. Der Amtsinhaber will unbedingt ein Desaster wie nach Hurrikan "Katrina" vermeiden. Im August 2005 wütete der Sturm in Louisiana, Mississippi, Florida, Georgia und Alabama, tötete rund 1800 Menschen. New Orleans wurde weitgehend zerstört. 1,3 Millionen Menschen an der US-Golfküste verloren ihr Hab und Gut. Der damalige Präsident George W. Bush geriet heftig wegen der unkoordinierten Hilfe der Regierung in die Kritik.

Bei einer dramatischen Rettungsaktion brachten zwei Hubschrauber der US-Küstenwache gestern 15 Besatzungsmitglieder des Filmschiffs "Bounty" in Sicherheit. Der Kapitän blieb als Einziger vermisst. Die "Bounty" ist der Nachbau des zwei Jahrhunderte älteren Originalschiffes, auf dem sich die berühmteste Meuterei der Seefahrtsgeschichte ereignet hatte. Der Dreimaster diente Marlon Brando als Kulisse des 1962 entstandenen Hollywoodklassikers "Die Meuterei auf der Bounty".

In der Karibik tötete "Sandy" bisher 67 Menschen, 51 davon in Haiti.