Die Assistentin der Queen plaudert aus dem Nähkästchen - mit Genehmigung des Hofes. Beim Personal ist sie äußerst unbeliebt.

London. Zwei Frauen stehen vor dem Kleiderspiegel, beide weißhaarig trotz 26 Jahren Altersunterschieds. Lächelt die Ältere: "Wir könnten direkt Schwestern sein, Angela." Die Antwort der Jüngeren lässt sich nur vermuten: "Yes, Your Majesty."

Die Schilderung der Szene im Buckingham-Palast 2006 stammt von Englands bestinformiertem Hofkorrespondenten. Offiziell ist Angela Kelly, 60, "Persönliche Assistentin Ihrer Majestät der Queen, Beraterin und Kuratorin (Schmuck, Insignien und Garderobe)"; als Modezarin der Monarchin zeichnete sie u. a. verantwortlich für das korallenfarbene Kleid bei der James-Bond-Einlage zur Eröffnung der Olympischen Spiele, das Bouclé-Ensemble in Elfenbein mit Swarovski-Kristallen anlässlich der Schiffsparade zum 60. Thronjubiläum und das primelgelbe Outfit bei der Hochzeit von William und Kate.

Inoffiziell ist sie die ziemlich beste Freundin der Königin - und ihr privater Hausdrache. Ein Zeichen für die Sonderstellung: Während es für normales Royal-Personal nichts Verwerflicheres gibt, als aus dem Nähkästchen zu plaudern, darf Kelly sogar ein ganzes Buch veröffentlichen. "Dressing the Queen - The Jubilee Wardrobe" erscheint am 5. November im hofeigenen Verlag The Royal Collection. "Alle hier zerreißen sich den Mund über Angela und ihr Buch", sagt ein Palastangestellter. "Niemand begreift, wieso sie das darf, wo wir doch alle den Official Secrets Act (das Gesetz zur amtlichen Schweigepflicht) und einen Vertrag mit Maulkorbparagrafen haben unterschreiben müssen." Für eine Frau, die sich der Queen unentbehrlich gemacht hat, gelten eben andere Regeln.

Dabei haben die beiden bis auf die Haarfarbe, die gepolsterte 1,60-Meter-Statur und eine Handvoll Enkelkinder anscheinend wenig gemein. Kelly, Tochter einer Krankenschwester und eines Kranführers, wuchs in einem Sozialbauhäuschen auf. Die Liverpooler Herkunft hört man ihr heute noch an. Obwohl katholisch, hat sie zwei Scheidungen hinter sich. 1992 war die dreifache Mutter Haushälterin beim britischen Botschafter in Berlin, als die Queen und Prinz Philip Deutschlands Hauptstadt besuchten. Der Diplomat hatte bereits seine Versetzung nach Paris in der Tasche, Kelly klagte der Königin ihr Heimweh nach England. Wenige Monate später kam unverhofft ein Angebot vom Hof, der Startschuss zu ihrem rasanten Aufstieg. Seit 1996 ist sie Chefankleiderin, 2001 wurde zudem eigens für sie ein neuer Posten geschaffen - persönliche Assistentin der Queen.

Seitdem vergeht kaum ein Tag, ohne dass sie sich sehen, meist unter vier Augen. Kelly bespricht alle Kleider-, Mantel- und Hutentwürfe mit Elizabeth II., begleitet sie auf jeder offiziellen Reise, organisiert ihre privaten Termine. "Die Queen vergöttert Angela", sagt ein Hofinsider. "Die beiden stehen sich sehr nahe, sind beste Freundinnen. Beide sind im Grunde einsam, die Queen zumal nach dem Tod ihrer Schwester und Mutter 2002 im Abstand von wenigen Wochen. Sie unterhalten sich über Gott und die Welt, nicht bloß über Stoffe und Schnittmuster. Oft hört man sie zusammen laut lachen. Die Queen entspannt merklich, sobald Angela in ihrer Nähe ist."

In dem einzigen Interview, das sie - mit Genehmigung - je gegeben hat, erklärte Kelly 2007 dem "Daily Telegraph": "Ich liebe die Queen. Ich habe Ehrfurcht vor ihr, sorge mich um sie. Ich weiß nicht, weshalb sie mich so mag. Vielleicht schätzt sie es, dass ich nie mit meiner Meinung hinterm Berg halte. Im Laufe der Jahre hat sie mich näher an sich rankommen lassen. Wir haben auch viel Spaß zusammen. Sie besitzt Humor und ist eine großartige Imitatorin. Sie kann jeden Akzent nachmachen, einschließlich meinem. Wir reden über dies und das und werden hoffentlich gemeinsam alt. Letztlich jedoch ist es ein Arbeitsverhältnis, wenn auch ein enges. Ich bin kein Mutter- oder Schwesterersatz. Wenn sie Herzensangelegenheiten bereden will, dann tut sie das mit ihrer Familie."

So beliebt Kelly in der Chefetage ist, so unpopulär ist sie "unter der Treppe", bei der Hofbelegschaft. "Sie hält sich für etwas Besseres, und wir betrachten sie als Queen-Spitzel", erzählt ein Lakai. Wegen brachialer Wutanfälle heißt sie bei der Dienerschaft "AK 47", nach dem russischen Sturmgewehr. 1999 prügelte sie sich so heftig mit einem Zimmermädchen um die Liebe eines verheirateten Hofbäckers, dass Polizisten die Streitenden trennen musste. 2003 traktierte sie eine Kellnerin wegen langen Wartens auf ihr Essen mit einem vollen Müllsack. 2008 explodierte sie am Personaleingang des Palastes, bis Polizisten sie überwältigten. Vor drei Jahren trieb sie ihre Mitarbeiterin, Alison Pordum, 35, zur Kündigung. "Alison, die anders als Angela ein abgeschlossenes Modedesignstudium hinter sich hat, war es leid, ewig die zweite Geige zu spielen", berichtet eine Ex-Kollegin.

Doch die Queen hält eisern zu Kelly. "Sie und ich, wir arbeiten gut zusammen", soll sie zu ihr gesagt haben. "Ich finde, wir sind ein gutes Team." Sie hat ihr ein Haus in Windsor geschenkt. Im September verlieh sie ihr den Viktoria-Verdienstorden, und nun erlaubt sie ihr, ein Buch zu veröffentlichen, das "den Leser hinter die Kulissen führt".