Paolo Gabriele: „Fühle mich nicht als Dieb“. Urteil wurde nach nur vier Prozesstagen gefällt. Doch damit ist der Fall noch nicht abgeschlossen.

Rom. Das vatikanische Gericht sprach den 46-jährigen Familienvater Paolo Gabriele am Sonnabend nach einem kurzen Verfahren des Diebstahls schuldig. Eineinhalb Jahre Haft und die Prozesskosten, so lautet das Urteil gegen den früheren Kammerdiener von Papst Benedikt XVI. im Vatileaks-Skandal.

Ein Nebenprozess steht noch aus gegen einen Informatiker, der allerdings nur der Beihilfe beschuldigt wird. Auch hat die Verteidigung drei Tage Zeit, um über eine eventuelle Berufung zu entscheiden. Trotzdem bleibt das vorherrschende Gefühl, dass mit dem Urteil gegen den Kammerdiener des Papstes der Vorhang gefallen ist.

„Wenig Lärm, weil viel auf dem Spiel steht“, darum gehe es dem Heiligen Stuhl, kommentierten Beobachter am Sonnabend vor der Urteilsverkündung. Wenig Lärm um viel? „Der Prozess ist absolut transparent unter den Augen aller durchgeführt worden“, sagte die italienische Justizministerin Paola Severino am Sonnabend dazu.

Doch sind vier Prozesstage wenig angesichts einer Enthüllungsaffäre, die für die Experten schon jetzt die denkwürdigste der modernen Kirchengeschichte ist. Ebenso wenig wie die nur acht zugelassenen Prozessbeobachter. Audio und Video waren nicht erlaubt worden.

Auch ging es in dem Verfahren kaum um Inhalte. Dabei hatte die vatikanische Polizei immerhin 82 Kisten Dokumente in Gabrieles Wohnung sichergestellt. Und brisant waren die Themen, die mit den entwendeten Dokumenten an die Öffentlichkeit gerieten. Von Geldwäsche in der Vatikanbank IOR war da die Rede, von Korruption und Vetternwirtschaft in den Führungsetagen des Kirchenstaates. Zahlreiche Dokumente weckten den Verdacht, innerhalb der Kurie herrsche erbitterter Kampf um Macht und Einfluss.

„Die schwachen Punkte des Vatikans in dieser Affäre sind, dass man der Öffentlichkeit – vor allem der katholischen – nicht die Genugtuung gegeben hat, zu untersuchen, ob die aus einigen der veröffentlichten Dokumenten hervorgehenden Vorwürfe der Korruption wahr sind oder nicht“, urteilt nicht allein Vatikankenner Marco Politi. Für Politi steht fest: Gabriele handelte nicht allein, und: Die Unzufriedenen in der Kurie sind Realität. Um so mehr hätte der Widerspruch in dem Geständnis des Kammerdieners eine eingehendere Behandlung erfordert.

Dieser hatte schon bald nach seiner Festnahme im Mai gestanden, Geheimdokumente aus dem Vatikan entwendet und kopiert zu haben, sich aber stets gegen den Vorwurf des Diebstahls gewehrt. In den Verhören sagte er aus, er habe sich als „Verbindungsmann des Heiligen Geistes gegen das Böse und die Korruption“ verstanden. „Ich bin bis ins mein Innerstes überzeugt, nur aus tiefster Liebe zur Kirche und ihrem sichtbaren Oberhaupt gehandelt zu haben. Ich fühle mich nicht als ein Dieb“, beteuerte Gabriele unerschütterlich auch noch am Tag seiner Verurteilung, bevor er mit leicht gesenktem Kopf sein Urteil entgegennahm.

Was oder wer hatte ihn dazu gebracht, stapelweise Geheimdokumente zu entwenden und an die Medien weiterzugeben? Ein Mann, der sieben Jahre zu den engsten Vertrauten des deutschen Pontifex gehörte, der Benedikt bei Tisch bediente, der ihm seine Koffer packte für die Apostolischen Reisen, der seine Aktentasche tragen durfte. Selbst seine Zukunft ist ungewiss, denn, wie italienische Medien bereits unterstrichen: „Das Urteil und eine mögliche Begnadigung durch den Papst reichen nicht, um den Fall abzuschließen.“ Was also wird mit Paolo Gabriele geschehen? Eine Begnadigung durch den Papst sei eine „sehr konkrete und sehr wahrscheinliche Möglichkeit“, erklärte Vatikansprecher Federico Lombardi nach dem Urteil.

Theoretisch müsste der Kammerdiener nach dem Schuldspruch aus dem Vatikan entlassen werden. Doch muss der Vatikan das Interesse der Medien fürchten. Nicht nur für die Turiner Tageszeitung „La Stampa“ ist klar: Es würde Einladungen zu Talkshows und Interviews nur so hageln. Es bestehe die Möglichkeit, dass der Vatikan Gabriele einen bescheidenen Beruf im Vatikanstaat anbiete unter der Bedingung, dass er Stillschweigen bewahre. Doch bliebe er damit in eben der Umgebung, in der die Vatileaks-Affäre entstand.

Der Vatikan bestritt im Laufe des Prozesses, dass Gabriele psychische Probleme habe. Jedoch sei er „leicht beeinflussbar“, hieß es. Am Sonnabend scheint nur eines wirklich sicher zu sein: Der Prozess ist zu Ende, der Vorhang ist gefallen, doch die wesentlichen Fragen bleiben offen.