Stiftung will beweisen, dass Leonardo da Vinci eine frühere Version gemalt hat. 40 Jahre lag diese im Tresor - bis jetzt

London/Genf. Der Louvre zählt knapp 8,5 Millionen Besucher im Jahr, und fast jeder steht ehrfürchtig vor dem 77 mal 53 Zentimeter großen Ölporträt einer mysteriös lächelnden Schönen mit überkreuzten Händen. Das Museum nennt Leonardo da Vincis Werk "La Joconde" (Die Heitere). Andere kennen das berühmteste Bild der Welt als die Mona Lisa. Und diese soll eine ältere Schwester haben, die auch da Vinci gemalt habe - die sogenannte Isleworth-Mona-Lisa.

Unter großem Blitzlichtgewitter wurde gestern in Genf die angeblich zehn Jahre ältere Version präsentiert. Die Stiftung Mona Lisa Foundation stellte neue Erkenntnisse zu dem Bild vor, um die Authentizität ihrer Behauptung zu belegen. Wissenschaftliche Studien ließen keinen Zweifel daran, dass da Vinci (1452-1519) die Frau im Abstand von etwa zwölf Jahren zweimal selbst gemalt habe, sagten Vertreter der Stiftung. Unterschiede der Bilder seien mit unterschiedlichen Materialen und Maltechniken zu den verschiedenen Entstehungszeiten erklärbar. Der gleiche geometrische Aufbau der Bilder, Röntgentests und Pigmentvergleiche bestätigten die Echtheit. Dass das um 1503 entstandene weltbekannte Bild der Mona Lisa eine Schwester habe, sollen auch Dokumente zeigen: An der Uni Heidelberg wurde 2005 eine Notiz des Machiavelli-Mitarbeiters Agostino Vespucci vom Oktober 1503 gefunden, die die Entstehung der ersten Version beschreibe. Der vom FBI ausgebildete forensische Künstler Joe Mullins sagte in Genf, dass die frühere und die spätere Mona Lisa die gleichen Gesichtszüge hätten. Nur sei die Frau der ersten Version ein Jahrzehnt jünger.

Doch Kunsthistoriker meldeten Zweifel an: "Es gibt keinerlei Grundlage zu behaupten, dass dieses Bild ein Original von da Vinci ist", sagte der emeritierte Professor für Kunstgeschichte an der Universität von Oxford, Martin Kemp, vor der Präsentation. Viele Details wiesen darauf hin, dass keinesfalls beide Bilder aus der Hand des Meisters entstanden seien. "An dem Gemälde ist vieles falsch. Das Kleid, die Haare, die Struktur ihrer Hände, die Landschaft im Hintergrund. Außerdem wurde das Gemälde auf Leinen gemalt, was untypisch für da Vinci ist." Kemp vermutet, dass die Stiftung die Gelegenheit nutze, um mit der lange verschollenen Isleworth-Mona-Lisa Geld zu verdienen.

Das in Genf präsentierte Bild wurde 1913 vom englischen Sammler Hugh Blaker in einem Landhaus entdeckt. Seinen Beinamen verdankt es übrigens dem Briten, der aus dem Londoner Bezirk Isleworth stammt. Schon 1936 ist der Kunstliebhaber Henry F. Pulitzer, Spross einer ungarisch-amerikanischen Verlegerdynastie, in Blakers Nachlass auf das Bild gestoßen. 1962 kaufte er die Isleworth-Mona-Lisa. "Ich bin überzeugt, dass meine Dame von Leonardo und seinem Studio gemalt ist. Und dass sie - nicht das bis jetzt fälschlich unter diesem Namen bekannte Bild im Louvre - niemand anderes ist als die lange verschollene Mona Lisa." Pulitzer brachte es in die Schweiz, wo es über 40 Jahre in einem Banksafe war. 2008 übernahm ein internationales Konsortium das Bild. Zwei Jahre später folgte die Gründung der Mona Lisa Foundation, die die Überprüfung der Echtheit des Bildes zum Ziel hatte.

Dieses Ziel hatte auch Pulitzer. Seine Nachforschungen erhärteten den Verdacht, dass der "Perfektionist Leonardo" zwei Fassungen des Mona-Lisa-Porträts in Angriff nahm. 1584 listet der Kunsttheoretiker Giovanni Paolo Lomazzo unter Leonardos Werken "ein Porträt der Gioconda und der Mona Lisa" auf, offenbar zwei verschiedene Gemälde. Eine Version - vermutlich 1501/02 begonnen und trotz vierjähriger Arbeit unvollendet - übergab Leonardo 1505 dem florentinischen Patrizier Francesco del Giocondo, der die damals 16 Jahre alte Klosterschülerin 1495 geehelicht hatte. Für die Datierung sprechen Aufzeichnungen des Malerbiografen Giorgio Vasari (1511-1574) und eine Federzeichnung von Raffael, der das Bild in Leonardos Atelier bewundert hatte. Die Raffael-Skizze von 1504 enthält auch die beiden Säulen, die die Isleworth-Mona-Lisa einrahmen.

Das Louvre-Konterfei basiert Pulitzers Recherchen zufolge auf der zweiten Version der Mona Lisa. Nach Ansicht des Kunsthistorikers Prof. Adolfo Venturi stellt es Costanza d'Avalos dar, eine Geliebte des florentinischen Fürsten und Leonardo-Mäzens Giuliano de Medici. Erwiesen ist, dass Leonardo sie in Giulianos Auftrag "idealisiert" porträtiert hat, und es ist denkbar, dass er das Antlitz der unvollendeten Mona Lisa auf der noch im Atelier befindlichen Pappelholztafel mit den geschmeichelten Zügen von Costanza übermalte.

Dass die Genfer "Enthüllungen" den Streit beenden werden, ist nicht anzunehmen. Pulitzer hatte es vorausgesehen. Ein 1966 erschienenes Buch, in dem er seine Thesen zusammenfasste, schließt mit den Worten: "Vielleicht weile ich nicht mehr hier auf Erden, wenn das endgültige Urteil gefällt wird. Das ist unerheblich. Man besitzt ein Gemälde nicht, sondern betreut es nur für eine kurze Zeit. Ein großes Kunstwerk bereitet ewig weiter allen, die nach uns kommen, Freude und Glück."