Sie suchen das Glück in der Familie und im Grünen - und ärgern sich über zögerliche Politiker und Bürokratie

Berlin. Im Jammern und Schwarzsehen waren die Deutschen schon immer gut. Trotz Wohlstand und Frieden. Jetzt belegt eine neue Studie mit Fakten, wie schlecht die Stimmung tatsächlich ist. Das Institut für Psychologie und Transfer der Universität Bremen und der Kölner Rheingold Salon (Institut für Markt- und Medienanalysen) befragte mehr als 1000 Personen zu ihren Sorgen, Werten und Wünschen. Zudem wurden 200 Frauen und Männer in Einzelgesprächen interviewt. Das Publikum war bunt - Singles, junge Familien, Rentner und Hells Angels. Die Einigkeit über die Frage, wie es um Deutschland bestellt ist, ist erschreckend. "Deutschland geht immer mehr den Bach runter": 70 Prozent stimmten dieser Aussage zu.

80 Prozent fanden die Politik zu zögerlich, bemängelten Entscheidungsfähigkeit und Tatkraft. Und sie beobachteten einen dramatischen moralischen Verfall. Erstaunlich, dass auf die Frage, was typisch deutsch sei, mindestens 90 Prozent der Teilnehmer der gestern in Berlin vorgestellten Studie mit dem Hinweis auf die altbekannten Sekundärtugenden antworteten. Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Fleiß, Ordnung, Sauberkeit - das sei es, was einen richtigen Deutschen ausmache. Gleichzeitig offenbarte die Befragung einen generellen Zweifel an der tatsächlichen Tugendhaftigkeit der Deutschen. Der Aussage: "Die Deutschen sind gar nicht alle so ehrlich, pünktlich und gewissenhaft, wie man immer denkt", stimmten 73 Prozent der Befragten zu.

Dass es mit den deutschen Tugenden nicht so gut bestellt ist, wie es scheint, das zeigte sich für die Befragten an ganz alltäglichen Situationen. Ein Fußballtrainer, der laut verkündet, dass sich Schwalben nicht gehören, und gleichzeitig mit seinen Jungs übt, wie man am geschicktesten ein Foul vortäuscht, gehört ebenso dazu wie der Unternehmer, der sich zum Chef des Jahres küren lässt, ohne die weitaus schlechter bezahlten Leiharbeiter an der Wahl teilhaben zu lassen. Doppelmoral, Scheinheiligkeit, das wurde verstärkt wahrgenommen.

Darüber hinaus sorgten bürokratische Strukturen für Empörung, die es Einzelnen erlauben, Freiheiten zu missbrauchen, ungestraft zu betrügen. Da war der Reifenhändler, der beim Arbeitsamt seinen Bedarf für einen neuen Arbeiter anmeldete und dann beim Vorstellungsgespräch feststellte, dass der Mann, der ihm geschickt wurde, kein Interesse an einer Anstellung hatte, weil er sich mit Schwarzarbeit gut über Wasser halten kann. Als der Händler sich beim Arbeitsamt beschwerte, bat ihn der Behördenmitarbeiter, die ganze Sache für sich zu behalten. Ein anderer Unternehmer berichtete bei der Befragung von einer unbezahlten Rechnung, für die er einen Pfändungsbeschluss hatte. Doch der Gerichtsvollzieher hatte keinen Erfolg. Der Schuldner war nie zu Hause, wenn der Vollstrecker klingelte. Auf die Frage des Gläubigers, ob der Gerichtsvollzieher vielleicht auch mal am Wochenende um Einlass bitten könnte, musste er sich anhören, dass das extra kosten würde.

Dass die Politik so zögerlich wäre, Missstände konsequenter anzugehen, erklärten viele mit der NS-Geschichte des Landes. "Unsere Nazi-Vergangenheit", so sagten 72 Prozent der Befragten, "hemmt und hindert uns daran, in der Politik entschiedenere Maßnahmen zu ergreifen." Ein verstärktes Bedürfnis, die Missstände selbst anzugehen und das gesellschaftliche Leben zu verbessern, geht aus dem allgemeinen Unmut nicht hervor. So bestätigt die Studie nicht nur das Bild vom notorisch lamentierenden Deutschen, sondern auch das des Biedermanns. Der Staat soll es richten. So die Quintessenz der Aussagen. "Der Deutsche delegiert gern", sagt Jens Lönneker, Projektleiter der Studie. Menschen wie Bundespräsident Joachim Gauck würden deshalb so viel Wertschätzung genießen, ebenso wie Umweltschutzorganisationen. Denn der Erhalt der Natur liegt den Deutschen sehr am Herzen. Das eigene Engagement indes konzentriert sich auf das Private. Politische Arbeit spielte gerade mal bei 30 Prozent der Befragten eine Rolle. Für die Pflege von Traditionen, beispielsweise in lokalen Vereinen, engagierten sich immerhin 54 Prozent. "Die Deutschen entwickeln im Verhältnis zu ihrer Nation ein Doppelleben", sagt Lönneker.

Gesundheit, finanzielle Unabhängigkeit, eine gesicherte Rente - das ist es, was die Deutschen glücklich macht. Und natürlich auch Familie und Freunde. 96 Prozent betonten, wie wichtig es für sie sei, "Menschen zu haben, auf die sie sich verlassen können, egal, was passiert". Das Private schön zu gestalten ist dabei umso wichtiger, je dramatischer die internationale wirtschaftliche Lage empfunden wird. Eine gemütliche Wohnung, eine schicke Einrichtung, all das spielt für die Lebensqualität der Befragten eine wichtige Rolle. Dazu gehören auch begrünte Balkone, gepflegte Gärten und Parzellen in Kleingartenanlagen, die immer attraktiver werden.

Die Deutschen suchen das Glück im Kleinen, im Grünen, in der Familie. Aber auch da muss sich das Engagement im Rahmen halten. "Viele Kinder" gehörten zu den unattraktivsten Glücksfaktoren. Gerade mal 28 Prozent der Befragten fanden die Vorstellung einer Großfamilie erstrebenswert.