Gutachten zur Havarie des Kreuzfahrtriesen: eine Kette von Irrtümern und Mängeln. Es stützt sich auf Aufzeichnungen der Blackbox.

Rom. Schon vor der Havarie der "Costa Concordia" muss es an Bord ziemlich chaotisch zugegangen sein. Acht Monate nach dem Unglück wurde gestern ein erstes umfassendes Experten-Gutachten bekannt, das sich vor allem auf die Aufzeichnungen der sogenannten Blackbox stützt. Demnach hat eine Kette von Unterlassungen, Irrtümern und Mängeln zum Kentern des 290-Meter-Kolosses geführt.

Es war einer der schwärzesten Tage der Kreuzfahrtgeschichte: Am späten Abend des 13. Januar rammte der Ozeanriese einen Felsen vor der toskanischen Insel Giglio und kenterte. Das Unglück riss 32 der insgesamt 3206 Passagiere in den Tod, unter ihnen auch zwölf Deutsche. Zwei Leichen konnten noch immer nicht geborgen werden.

Laut dem etwa 270 Seiten langen Gutachter-Bericht, aus dem gestern mehrere italienische Zeitung zitierten, liegt die Hauptschuld zweifelsohne bei Kapitän Francesco Schettino, 52. Vor allem habe es an Bord aber sprachliche Verwirrung gegeben. So habe der indonesische Steuermann zweimal die Anweisungen Schettinos über die auszuführenden Manöver nicht verstanden. Dass der Schiffbruch so folgenschwer sein konnte, wird auch auf Verstöße gegen Sicherheitsvorschriften und eine ungenügend vorbereitete Crew zurückgeführt: Nicht alle der für die Rettungsboote eingeteilten Mitarbeiter hätten die nötige Zulassung dafür gehabt. Auch sei der Strom-Hilfsgenerator an Bord nicht eingesetzt worden, obwohl dies in Notfällen Vorschrift sei.

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Schon kurz nach der Katastrophe war Kapitän Schettino die Hauptschuld zugewiesen worden. Er habe das Schiff eigenmächtig zu nahe an die Insel herangefahren, und dann habe er es noch während der Rettungsaktion verlassen.

Das Gutachten erhebt den Berichten zufolge aber auch Vorwürfe gegen die Reederei Costa Crociere: Der in der Unglücksnacht diensthabende Costa-Krisenmanager Roberto Ferrarini, der über Funk in Kontakt mit der "Costa Concordia" stand, "scheint nicht wirklich die Hand am Puls der Gegebenheiten des Schiffes zu haben", heißt es nach Angaben der Zeitung "La Repubblica" in dem Gutachten weiter. Er hätte dem Kapitän das Auslösen des Generalalarms und die Evakuierung anordnen und vor allem die Informationen vom Unglücksschiff an die Küstenwache weitergeben müssen.

Diese Vorwürfe wies die Reederei gestern als gegenstandslos zurück. Das Gutachten müsse vor Gericht diskutiert werden. Die Informationspflicht bei Unfällen obliege dem Kapitän. Aus den Akten gehe auch zweifelsfrei hervor, dass die Kommunikation durch den Kapitän an das Costa-Krisenmanagement "insgesamt nicht rechtzeitig, nicht vollständig und auf konfuse Art und Weise erfolgte, sodass der Ernst der Lage nicht eindeutig eingeschätzt werden konnte". Die Behauptung, die Mitarbeiter seien auf Notfälle nicht vorbereitet gewesen, entbehre jeder Grundlage.

Was sich aus der Analyse der Blackbox ergeben hat, soll am 15. Oktober beim zweiten Beweissicherungstermin offiziell mitgeteilt werden. Gegen mehrere Offiziere und Vertreter der Reederei, darunter Krisenmanager Ferrarini, wird ermittelt.

Derweil wurde bekannt, dass die Reederei den Passagieren der verunglückten "Concordia" eine Entschädigung von 14 000 Euro pro Person zahlen will. Die Hinterbliebenen der Opfer und die Verletzten sollen gesondert entschädigt werden. Einige von ihnen wollen dennoch vor Gericht ziehen. Die Kläger fordern Schadenersatz von mehreren zehn Millionen Dollar.

Laut Behörden soll das Wrack im Frühjahr 2013 aufgerichtet und seetüchtig gemacht werden.