Die Fische breiten sich in Flüssen und Seen aus. Sie attackieren sogar Menschen und Schwäne. Liegt es möglicherweise am Klimawandel?

Erding. Allzu oft dringen Nachrichten aus dem Tal der Isen nicht in die überregionalen Medien. Ruhig mäandert der Fluss von Erding nach Altötting. In diesem Spätsommer aber könnte das idyllische Gewässer zum deutschen Loch Ness mutieren. Das Ungeheuer: ein großer Fisch. Es gibt ihn wirklich. Enten soll er unters Wasser gezogen, in unbändiger Gier auch Schwäne attackiert und mittelgroße, allzu vorwitzige Hunde zu Tode erschreckt haben. Der Riesenwels ist da, zweieinhalb Meter lang. Die Fischer sind entsetzt, weil das Monster den Fluss leer frisst. Man müsse etwas tun.

Zweieinhalb Meter, das klingt manchem nach Anglerlatein. Dabei sollte eigentlich sein Name schon zu denken geben: Wels, auch "Waller". Etymologen gehen davon aus, dass das Wort mit Wal verwandt ist. Haben wir es also mit dem Leviathan der deutschen Provinz zu tun? Man könnte es so sehen. Immer mal wurden Riesenwelse gesichtet, auch in der Größenordnung von weit über zwei Metern, womit er schon in die Liga der kleinsten Wale kommt. Doch auch wenn er riesig, plump und behäbig daherkommt - zoologisch verwandt ist der Wels schon eher mit dem Piranha, mit dem er nicht nur seine taxonomische Ordnung teilt, sondern auch seine unstillbare Gefräßigkeit. Während aber der kleine, gemeine Piranha irgendwann ausgewachsen ist, wächst der Wels immer weiter, bis an sein Lebensende, das Zoologen auf 40, 60 oder im Extremfall auch auf bis zu 80 Jahre schätzen. Was dabei herauskommt, beklagen Menschen nicht erst seit dem Monster unserer Tage aus der Isen.

+++ 2,16 Meter: Angler fischt Riesen-Wels aus dem Neckar +++

"Dieß scheußliche Thier möchte ein teutscher Wallfisch genennt werden. Ist ein sehr scheußlicher, großer Fisch, hat ein scheußlich weit Maul." Mit diesen Worten über den "Waller" zitiert Alfred Brehm im "Thierleben" seinen Freund Geßner. Eigentlich fand der Altmeister der Tierbeobachtung selbst oft genug scharfe Worte für das, was kreuchte, fleuchte oder schwamm im Lande, aber bei allzu böser Reputation versteckte er sich gern auch hinter Dritten. Immerhin: Brehm kann auch einen der bedeutendsten Zoologen des 19. Jahrhunderts, Ernst Haeckel, heranziehen, der berichtet, dass man in einem Welsmagen einst "die Reste eines Knaben" fand, "in einem anderen einen Pudel, in einem dritten Gänse, die er ersäuft und verschlungen hatte". Welse von bis zu drei Metern habe man laut Brehm gefangen. Alles nur Schauergeschichten alter Männer? Vielleicht.

Für Schlagzeilen sorgte im Jahr 2001 der Wels Kuno. Er war der Liebling im Weiher eines Volksgartens bei Mönchengladbach, den man den Kleinen zeigte, die noch nicht einmal sprechen konnten. Bis Kuno eines Tages einen Dackel in die Tiefe zog und mit ihm verschwand. Niemand wagte einzugreifen. Erst vor drei Wochen wurde eine 14-Jährige in einem Badesee in Niederösterreich von einem unsichtbaren Riesenfisch angegriffen, etwa 150 Meter vom Ufer entfernt. "Zum Glück konnte sie sich irgendwie frei strampeln", sagte ihr Vater, der am Ufer alles mitverfolgte. Das österreichische Angler-Magazin "Fisch und Fang", das über den Fall berichtete, schloss aufgrund der Breite des Maulabdrucks auf einen etwa zwei Meter langen Wels, der das Mädchen in die Tiefe ziehen wollte, vermutlich weil er sich beim Brüten gestört gefühlt habe. Die Tiere hinterlassen einen charakteristischen Abdruck, weil sie - im Gegensatz etwa zu Hechten - über gleich vier oder fünf Reihen kleiner, flacher Bürstenzähne verfügen.

Immer wieder werden Vorfälle gemeldet, die auf große Welse schließen lassen. Auch im Berliner Schlachtensee sowie in der benachbarten Krummen Lanke tummeln sie sich offenbar. Im Jahr 2008 musste sich eine Frau nach einem Angriff im Universitäts-Klinikum in Steglitz behandeln lassen, eine Fischereiexpertin bestätigte den Verdacht auf Wels. Nachdem Spaziergänger jetzt vor sechs Wochen berichtet hatten, einen etwa zwei Meter langen Fisch gesehen zu haben, womöglich ja jenen "Täter", war in Berlin schon die Rede von der "Nessi vom Schlachtensee".

Aktenkundig wird die Anwesenheit von Riesenwelsen, wenn sie gefangen sind und in ihrer Pracht vermessen werden. Vor zwei Jahren war es am kleinen Toeppersee bei Duisburg ein Exemplar von 1,90 Metern. Im Juli 2012 hatte ein Angler am Neckar einen Fisch von 2,16 Meter Länge am Haken seines Spezialgerätes - und erklärte den herbeigerufenen Fotografen, sein persönlicher Rekord liege bei 2,21 Metern. Der größte dokumentierte Fall stammt vom oberitalienischen Po: 2,78 Meter bei 148 Kilo. Der Wels ist der größte Süßwasserfisch Europas, abgesehen vom kaspischen Stör, der allerdings nur zum Laichen in die Flüsse zieht und sich ansonsten in seinem salzigen Meer aufhält. Ihm kann keiner, er hat in der Gesellschaft seiner Gewässer keine natürlichen Feinde. Nur sich selbst: Der Kannibalismus ist innerhalb der gefräßigen Art ausgeprägt.

Wächst die Gefahr aus der Tiefe, hier in Deutschland, mitten unter uns? Manche vermuten, dass die Klimaerwärmung die Tiere gefräßiger mache, doch nicht nur Brehms Berichte zeigen, dass es früher auch nicht anders war. Was aber steckt dahinter, was man kürzlich in Frankreich beobachten musste, mitten in der Rhone? Welse, üblicherweise radikale Einzelgänger, formierten sich zu Schwärmen, mehrere Dutzend Fische stark. Rotten sie sich jetzt zusammen? Wir werden es sehen.