Noch nie wurden so viele Autokennzeichen entwendet. Zumeist für weitere Straftaten

Berlin. Zweimal in den vergangenen Monaten haben sie dem Lüneburger Studenten Manuel P. die Kennzeichen vom Auto geklaut. Jetzt montiert er sie selber abends ab und nimmt sie mit in seine Wohnung - obwohl ihm das Ärger mit der Polizei einbringen kann, weil ein Auto nicht ohne Schilder geparkt werden darf. Auch Erkan Türkel in Berlin ist genervt. Ihm wurden in diesem Jahr ebenfalls zweimal die Autonummern gestohlen. "Ist ja auch nicht so schwierig", sagt der 35-Jährige und deutet auf das Kennzeichen eines geparkten Autos: "Die sind nicht angeschraubt, sondern nur eingehängt." Ein kurzer Ruck und schon seien sie futsch.

Der Kennzeichendiebstahl greift in Deutschland um sich. Mit mehr als 40 000 Fällen pro Jahr, also weit über 100 am Tag, hat er einen neuen Höchststand erreicht. Spitzenreiter unter den Bundesländern ist Nordrhein-Westfalen, was naturgemäß im bevölkerungsreichsten Bundesland auch an der hohen Zahl zugelassener Fahrzeuge liegt. Im vergangenen Jahr sind nach Angaben des Landeskriminalamtes (LKA) in NRW 20 309 Kennzeichen von Autos, Lastwagen und Motorrädern verschwunden. 2010 waren es noch knapp 2600 weniger. Bereits bis August dieses Jahres wurden 13 705 Kennzeichen als gestohlen gemeldet.

Auch im übrigen Bundesgebiet sind die Zahlen zwischen 2010 und 2011 mit leichten regionalen Schwankungen gestiegen. Lediglich in Bayern, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern gingen die Diebstähle an Autos um wenige Hundert Fälle zurück. Dafür dürfte Berlin mit 6844 Fällen die höchste Steigerungsrate haben: plus 27 Prozent gegenüber 2010. Doch warum sind die Schilder eine so begehrte Beute?

Experten zufolge tanken Kriminelle mit entwendeten Kennzeichen und machen sich ohne zu bezahlen aus dem Staub. Da nützt den Tankstellenpächtern auch die inzwischen übliche Videoüberwachung nichts. Andere Täter verschieben gestohlene Autos mit den falschen Kennzeichen oder benutzen die TÜV-Plaketten. Ein Nummernschild zu stehlen ist bedeutend billiger, als eines zu fälschen - und einfacher ist es auch. Denn an den meisten Neuwagen werden die Schilder nicht mehr angeschraubt, sondern nur eingehängt. Hinter einigen Aktionen vermuten Experten sogar organisierte Banden. So verschwanden im mecklenburgischen Demin 14 Kennzeichen auf einmal.

An einem Fluchtauto angebracht, können geklaute Kennzeichen für die Bestohlenen schnell zum Albtraum werden. So hat jüngst in Berlin ein Räuberduo zwei Bankangestellte beim Befüllen eines Geldautomaten überfallen und ist dann in einem Auto geflohen. "Das Kennzeichen konnte dabei abgelesen werden", erzählt ein Sprecher der Polizei Berlin. "Es stellte sich heraus, dass es in der Nacht zuvor in Berlin entwendet worden war." Manche Schilder werden auch von Souvenirjägern mitgenommen, weil sie zum Beispiel eine witzige Kombination haben.

Nicht so witzig ist der Aufwand, der auf bestohlene Autofahrer zukommt: Strafanzeigen bei der Polizei, Verlustanzeige bei der Kfz-Zulassungsstelle und die Anschaffung neuer Nummernschilder. Bis zu 100 Euro und mehr bezahlen Opfer für neue Kennzeichen. Die Kosten für die Prägung unterscheiden sich von Anbieter zu Anbieter. Die gestohlenen Schilder werden bis zu zehn Jahre gesperrt. So sind in Nordrhein-Westfalen rund 50 000 Kennzeichen erst mal auf Eis gelegt, allein in der brandenburgischen Hauptstadt Potsdam sind es 2192.

Auch Erkan Türkel hatte besondere Nummernschilder: die Initialen seiner Lieblingsmannschaft mit dem Geburtsdatum seiner kleinen Tochter. Diese Kombination kann er erst mal vergessen. Auf jeden Fall ist er jetzt schlauer: Seine neuen Kennzeichen sind angeschraubt.