Vier Menschen in den französischen Alpen erschossen. Kind nach acht Stunden entdeckt

Paris. Acht Stunden wagte ein kleines Mädchen nicht, sich zu rühren oder gar zu rufen. Es hatte sich unter den Beinen seiner toten Mutter versteckt und war so womöglich dem Tod entronnen. Erst nachdem die Spurensicherung aus Paris am Tatort eingetroffen war, wurde die Vierjährige entdeckt. Endlich befreit, streckte sie die Arme aus und sagte einige Worte auf Englisch.

Der mysteriöse Mordfall gibt der Polizei in Frankreich Rätsel auf und erschüttert die Urlaubsidylle in den französischen Alpen. Auf einem Waldparkplatz der Gemeinde Chevaline im Department Haute-Savoie entdeckte ein Radfahrer vier Leichen und ein schwer verletztes siebenjähriges Mädchen - die Schwester der Kleinen, die zunächst nicht gefunden wurde.

Bei den Toten handelt es sich um drei Mitglieder einer Familie aus Großbritannien und einen 40 Jahre alten Radfahrer aus Savoyen. Die Leichen des 50 Jahre alten Saad H. auf dem Fahrersitz, der zwei Frauen im Fond des BMW und die des Franzosen wiesen Schussverletzungen auf. "Sie sind regelrecht hingerichtet worden", sagte Staatsanwalt Eric Maillaud gestern Abend in Annecy. "Alle vier Opfer starben durch Kopfschüsse." Am Tatort wurden viele Patronenhülsen gefunden, die von einer automatischen Pistole stammen. Maillaud: "Das ist ein dramatischer Tatort, wie wir ihn sonst nur im Fernsehen sehen." Die schwer verletzte Siebenjährige, die in der Nähe des Autos gefunden wurde, kam in ein Krankenhaus nach Grenoble. Sie erlitt Schussverletzungen und eine Schädelfraktur, ist aber mittlerweile außer Lebensgefahr. Die Ärzte versetzten sie in ein künstliches Koma.

Warum es so lange gedauert hat, bis die Vierjährige entdeckt wurde, begründet die Polizei wie folgt: Die Gendarmen, die zuerst vor Ort waren, mussten auf die Kollegen aus Paris warten und durften das Auto mit den drei Toten nicht öffnen. "Wir hatten die Anweisung, nichts anzufassen", sagte ein Polizist. Der Zeitung "Le Figaro" sagte der Chef der Gendarmerie, Benoit Vinnemann: "Feuerwehr, Techniker und Rettungsdienst haben durch die Einschusslöcher in den Wagen geschaut, aber die Kleine nicht gesehen. Sie war zu Tode geängstigt und hat sich nicht bewegt." Auch ein Polizeihubschrauber, der mit einer Wärmebildkamera aufgestiegen war und die Umgebung nach weiteren Opfern und dem Täter absuchte, konnte das Kind nicht entdecken, da es unter seiner toten Mutter lag.

Ob es sich um eine Familientragödie oder um ein anderes Verbrechen handelt, ist unklar. Eine Tatwaffe wurde in der bei britischen Touristen beliebten Region bisher nicht gefunden.

Fest steht bisher nur, dass die Familie aus dem Dorf Claygate in der Nähe von London kam. Nach Informationen des "Telegraph" stammt der Vater Saad H. aus dem Irak, lebt aber schon seit rund 20 Jahren in Großbritannien und hat einen britischen Pass. Der 50-Jährige soll für ein Satelliten- und Weltraumunternehmen gearbeitet haben. Die Familie galt als campingbegeistert und hatte ihren Wohnwagen für den Sommerurlaub auf einem Platz bei Annecy stehen. Mit seiner Ehefrau Iqbal und den Töchtern Zehab, 7, und Zeinab, 4, fuhr er seit Jahren in die Alpenregion. Bei der Großmutter, die ebenfalls erschossen wurde, fand die Polizei einen schwedischen Pass mit dem Geburtsjahr 1938. Der getötete Radler war laut Staatsanwaltschaft wahrscheinlich "zur falschen Zeit am falschen Ort".

Video zum Mordfall www.abendblatt.de/annecy