Kurz vor Mitternacht reißt ein Knall die Anwohner des Rotoaira-Sees aus dem Schlaf. Ein seit Ewigkeiten schlummernder Vulkan ist erwacht. Er schleudert ohne Vorwarnung Geröllbrocken und Asche in die Luft. Vulkanologen geben keine Entwarnung.

Wellington/Bangkok. Der plötzliche Ausbruch des seit mehr als 100 Jahren schlummernden Vulkans Tongariro hat die Einwohner Neuseelands aufgeschreckt. Die Eruption kam ohne Vorwarnung, wie Vulkanologen am Institut für Geo- und Nuklearwissenschaften bestätigten. Bei dem Ausbruch auf der Nordinsel wurden in der Nacht zu Dienstag schwere Gesteinsbrocken in die Luft geschleudert. Eine riesige Aschewolke stieg auf und überzog Straßen, Felder und Häuser mit einer dicken Ascheschicht. Entwarnung gaben die Vulkanologen nach einem Überflug des Kraters nicht: „Das Niveau der Aktivität ist jetzt niedrig, es könnte aber jederzeit wieder losgehen.“

Einer der aus dem Krater geschleuderten Gesteinsbrocken krachte rund eineinhalb Kilometer weiter in eine Hütte für Wanderer. Er durchschlug das Dach und zerschmetterte Etagenbetten. Das hätte dort Schlafende getötet, meinte der Manager des Umweltamtes, Nic Peet. Es hielt sich aber niemand in der Hütte auf. Andere Schäden wurden nicht gemeldet.

„Es war ein Riesenknall um kurz vor Mitternacht“, berichtete Michael Pine, der in der Nähe am Rotoaira-See wohnt, im Fernsehen. „Als wir heute morgen aufwachten, lag überall eine dicke Schicht von Asche und Matsch“, sagte er. „Das wird eine riesige Aufräumaktion. Ich weiß nicht, ob ich ängstlich oder aufgeregt sein soll.“ Die Behörden hatten die Anwohner zunächst aufgerufen, in ihren Häusern zu bleiben, hoben die Empfehlung aber später auf.

Eine riesige Aschewolke driftete mehr als 200 Kilometer nach Osten bis zur Küstenstadt Napier. Wegen schlechter Sicht schlossen die Behörden vorübergehend die Hauptverbindungsstraße zwischen der Hauptstadt Wellington und Auckland. Hunderte Reisende strandeten. Flüge wurden ebenfalls gestrichen.

Vulkanologen nahmen den Krater des Tongariro, der kleinste von drei Vulkanen im Nationalpark, vom Hubschrauber aus in Augenschein. Er war nach Angaben des Instituts für Geo- und Nuklearwissenschaften zuletzt 1897 aktiv gewesen. „Nach unserer Analyse der seismischen Daten gab es einen explosiven Ausbruch, der nur eine oder zwei Minuten gedauert hat, gefolgt von einer Serie diskreter kleinerer Beben in den folgenden zehn Minuten“, teilte Vulkanologe Michael Rosenberg mit. „Weder vorher noch nachher hat es eine vulkanische Erschütterung gegeben.“

Neuseeland gehört zu den geologisch instabilsten Regionen der Welt. Die größte Stadt Auckland mit 1,5 Millionen Einwohnern ist auf 49 erloschenen Vulkanen erbaut. Das Institut für Geowissenschaften beobachtet zwölf aktive Vulkanregionen und registriert im Jahr mehr als 15 000 überwiegend kleinere Erdbeben. Ein Größeres der Stärke 6,3 hat im vergangenen Jahr die Innenstadt von Christchurch auf der Südinsel schwer beschädigt und 185 Menschen das Leben gekostet. Der folgenschwerste Vulkanausbruch passierte 1886. Der Lavastrom zerstörte drei Dörfer, 108 Menschen kamen ums Leben und eines der Naturwunder der Welt, die rosa und weißen Thermalwasserterrassen, wurden zerstört. Der größte See des Landes, der Taupo-See, entstand durch eine große Vulkaneruption vor 1800 Jahren.

(dpa)