Jón Gnarr ist Islands bekanntester Komiker und kandidiert für das Bürgermeisteramt von Reykjavík. Umfragen sehen ihn bei 44 Prozent.

Reykjavík. Als die isländische Nationalelf vor sechs Jahren in Hamburg die Qualifikation zur Fußball-Europameisterschaft verpasste, wussten sich die Fans im Stadion schnell zu trösten. Sie zerknüllten die Zettel mit dem schwierigen Text ihrer Nationalhymne ("Können wir eh nicht"), gingen sich schnell ein Bier holen ("Hast du gesehen, Halldór? Es kostet nur drei Euro!"). Ausscheiden auf Isländisch.

Es ist eine sehr eigene Form des schwarzen Humors, der die Isländer die schwierigen Situationen ihrer Geschichte hat meistern lassen: die vielen Hungersnöte, Vulkanausbrüche - oder eben grottenschlechte Fußballergebnisse. Am heutigen Sonnabend können sie den Humor sogar wählen: den isländischen Komiker Jón Gnarr, 43. Er ist quasi der Horst Schlämmersson seines Landes . In Island enden die meisten Namen auf "sson". Gnarr kandidiert für das Bürgermeisteramt von Reykjavík. Die jüngsten Umfragen sehen ihn bei 44 Prozent. Weil die Isländer inzwischen über ihre Politiker lachen - und den Komiker ernst nehmen.

Dabei war Jón Gnarrs Wahlkampagne anfangs wirklich als Scherz gedacht. Als eine Reaktion auf den drohenden Staatsbankrott nach der Finanzkrise. "Ich war es so leid, den Politikern und Finanzexperten dieses Landes zuzuhören, ihren ständigen Ausflüchten und Unwahrheiten. Bis heute hat keiner von ihnen die Verantwortung für das Desaster übernommen." Seine Partei nannte er "BestiFlokkurinn", zu deutsch: Beste Partei. Er versprach "offene Korruption" anstatt einer verdeckten und freie Handtücher bei allen warmen Quellen. Doch er machte auch ernst zu nehmende Vorschläge: zum Beispiel Reykjavík zur ersten Hauptstadt zu machen, die ihre Energie nur aus erneuerbaren Quellen speist. Weil sie das kann. Sollte er die Wahl gewinnen, sagte Gnarr vor einigen Wochen, sei er bereit, mit allen Politikern zusammenzuarbeiten - außer mit denen, die die TV-Serie "TheWire" nicht gesehen hätten. Das seien Banausen. Die Isländer freuten sich, die etablierten Politiker lachten mit.

Nun ist ihnen das Lachen vergangen. "Dass ich einen Nerv treffe mit meiner Kampagne, das hatte ich geahnt - aber dass es so ein Erfolg wird, das überrascht mich auch", sagt Jón Gnarr und klingt ein bisschen müde. Aber auch irgendwie stolz. Die vergangenen Wochen hat er ununterbrochen gearbeitet, hat sein Image geplant.

Die Kampagne ist auf der Insel mittlerweile das Hauptgesprächsthema. "Denn ich glaube, dass dieser unglaubliche Frust ein globales Phänomen ist, es wird auch in anderen Städten passieren, dass Menschen lieber Kabarettisten an der Macht sehen als Politiker, die ihnen nur hohle Phrasen vorsetzen. Komiker sagen wenigstens die Wahrheit. Die klingt vielleicht im ersten Moment absurd. Aber sind Slogans wie 'Das Beste für unsere Familien' das nicht auch?", sagt Gnarr. Das letzte TV-Duell vor der Wahl zwischen Gnarr und der (noch) amtierenden Bürgermeisterin Hanna Birna Kristjánsdóttir: Die Einwohner von Reykjavík sollten sich gut überlegen, ob sie von einer verantwortungsvollen Politikerin oder einer Horde Künstler regiert werden wollten, sagte Kristjánsdóttir. Über Gnarrs Gesicht huschte ein Schatten. "Wie redest du eigentlich über uns?", fragte er die Würdenträgerin. "Es sind die Künstler, die Island in der Welt bekannt gemacht haben." Und tatsächlich unterstützen inzwischen die meisten Künstler, auch die Popsängerin Björk, seine Partei.

Dass Gnarr tatsächlich die Hauptstadt regieren kann, daran hat er keinen Zweifel. "Die tun hier auf der Insel alle, als ginge es um Gott weiß was. Meine Güte, Reykjavík hat 100 000 Einwohner. Und ich habe Experten bei mir, Ökonomen, Anwälte, Forscher. Die können soviel wie die Politiker. Ich werde ein guter Bürgermeister sein."