Die Ex-Frau und Komplizin des belgischen Kinderschänders Marc Dutroux wurde nach 16 Jahren vorzeitig entlassen. Opferfamilien entsetzt.

Brüssel. Die Ex-Frau und Komplizin des belgischen Kinderschänders Marc Dutroux kommt nach 16 Jahren Haft vorzeitig frei, wenn auch nur unter Auflagen. Michelle Martin, 52, geht in ein Kloster im Süden Belgiens. Ein Gericht in Mons bewilligte gestern den Antrag Martins, vorzeitig aus der Haft entlassen zu werden. Die Familien der getöteten Mädchen reagierten entsetzt. Aber wenn die Staatsanwaltschaft keine Berufung einlegt, könnte Martin schon heute von Nonnen in Malonne aufgenommen werden.

Durch die Entscheidung muss sich Belgien wieder mit dem schmerzhaften Trauma befassen. Dutroux, 55, hatte Anfang 1995 und 1996 sechs Mädchen in seine Gewalt gebracht, vergewaltigt und elend zugrunde gehen lassen. Seine damalige Frau war am 12. August 1996 - am selben Tag wie er - festgenommen und acht Jahre später zu 30 Jahren Haft verurteilt worden. Dutroux erhielt eine lebenslange Haftstrafe ohne Aussicht auf vorzeitige Entlassung.

Martin, dreifache Mutter, war umfangreich an seinen Taten beteiligt und wurde wegen Gefangennahme der Mädchen verurteilt. Vor allem wurde ihr zur Last gelegt, dass sie zwei der Opfer ineinem Kellerverlies verhungern ließ, während Dutroux wegen eines anderen Delikts in Untersuchungshaft saß. Sie versperrte eigenhändig die Tür, hinter der die beiden achtjährigen Mädchen qualvoll starben. Im Prozess hatte die ehemalige Lehrerin immer betont, aus Angst nicht in das Verlies gegangen zu sein, um den Kindern etwas zu essenzu bringen. Sie sei unfähig gewesen,ihrem Mann zu widersprechen. In der Haft wurde sie nach Angaben ihrerAnwälte tief religiös.

Die Eltern der Opfer reagierten empört auf das Freilassungsurteil. "Das kam aus heiterem Himmel", sagte Paul Marchal, Vater des getöteten Mädchens An. "Ich habe es nicht für möglich gehalten. Wenn Martin frühzeitig entlassen wird, wen behalten sie denn dann im Gefängnis?" Jean Lambrecks, Vater eines anderen Mädchens: "Ich warsicher, sie würde im Gefängnis bleiben, denn sie ist genauso schlimm wie Dutroux. Sie ließ die Kinder verhungern."

Vier vorherige Anträge auf Haftentlassung hatte das Gericht abgelehnt, vor allem, weil Martins Verbleib unsicher war. Zuletzt wollte sie sich im vergangenen Jahr in ein Kloster in Frankreich zurückziehen, doch wurde ihr die Aufnahme von der französischen Justiz untersagt. Die Pläne hatten schon damals für heftige öffentliche Empörung gesorgt. Nun kann Martin in das Kloster Clarisse nahe der Stadt Namur ziehen. Mehrere TV-Sender berichteten gestern schon live von der Klosterpforte.

In Belgien können Straftäter nach dem Absitzen eines Drittels ihrer Haftstrafe die Freilassung beantragen, müssen aber bestimmte Bedingungen erfüllen. Zu den Auflagen für Martin gehören neben einer festen Adresse, dass sie sich von den Familien der Opfer und von den Medien fernhält und einen strikten Resozialisierungsplan einhält.

Das Gericht im wallonischen Mons begründete seine Entscheidung mit einem sehr geringen Rückfallrisiko, mit der respektvollen Haltung Martins gegenüber den Opferfamilien sowie mit einem positiven psychosozialen Gutachten. Ihr Anwalt Thierry Moreau sagte, Martin sei nicht mehr dieselbe Person wie 1996. "Aber sie sagt selbst: Ihre Schuld wird sie bis ins Grab begleiten. Alles, was ihr bleibt, ist zu sühnen." Der Generalstaatsanwalt des Berufungsgerichts, Claude Michaux, nannte ihre Freilassung "voreilig". Allerdings könnte er nur wegen VerfahrensfehlernBerufung einlegen; die Entscheidung muss bis heute Mittag fallen.

Bis heute werden Polizei und Strafverfolgungsbehörden Ermittlungspannen zur Last gelegt. So hatte die Justiz mehrfach Hinweise ignoriert, die zu einer früheren Festnahme Dutroux' hätten führen können. Er hat mehrere Kinder und Jugendliche entführt und sexuell missbraucht. Zudem hat der Belgier seinen Komplizen Bernard Weinstein und zwei junge Frauen ermordet.