Gegen den mutmaßlichen Amokläufer von Aurora wird die Anklage verlesen. Kann dann der Prozess die Motive für das Kino-Massaker erklären?

Washington. Menschen, die um Angehörige trauern, stellen sich häufig die schmerzhafte und bohrende Frage: Warum? Selbst wenn die Antwort noch viel schmerzhafter als die Frage ausfallen sollte, verlangen Trauernde aus tiefsten Herzen nach Klarheit. Über eine Woche nach dem Massaker von Colorado, bei der ein Amokläufer während einer „Batman“-Premiere zwölf meist junge Menschen in den Tod riss, liegen nicht einmal im Ansatz solche Antworten vor.

Am Montag soll der Angeklagte James Holmes erneut vor Gericht erscheinen. Schon zuvor hieß es, es könnte bis zu einem Jahr dauern, bis eine Hauptverhandlung eröffnet wird. Ob der Prozess die Fragen der Trauernden wirklich beantwortet, ist völlig offen.

Erste Hinweise, so meinen US-Medien, könnten darauf hindeuten, dass Holmes psychische Probleme habe. Unter Berufung auf Gerichtsunterlagen heißt es, dass der Student eine Psychiaterin seiner ehemaligen Universität konsultiert habe. Noch ist die Strategie seiner Anwälte unklar. Die Anwälte hatten bereits davor gewarnt, dass eine Veröffentlichung angeblicher Mordpläne und Gewaltfantasien des Angeklagten das Verfahren gefährden könnte.

Bohrende Fragen stellte auch der Pastor Dan Fiorini, als am Sonnabend eines der Opfer zu Grabe getragen wurde. Es handelte sich um den 27 Jahre alten Matthew McQuinn. Er soll sich während des Überfalls schützend über seine Freundin geworfen haben. Die junge Frau wurde lediglich durch einen Schuss am Knie verletzt – und erschien zur Beerdigung, wie die „Washington Post“ berichtete.

„Warum wurde dem Bewaffneten erlaubt, das Kino zu betreten?“, fragte Fiorini den Angaben zufolge. „Warum war er in der Lage, die Waffen und die Munition so einfach zu erwerben?“ fragte er weiter. „Warum hat Gott nicht etwas getan?“

Solche Fragen werden bohrender, wenn Schicksale wie dieses bekanntwerden: Eine Mutter, die bei der Bluttat ihre sechsjährige Tochter verlor und selbst getroffen wurde, erlitt nun eine Fehlgeburt.

Die Bluttat von Colorado hat die Amerikaner erschüttert, wie es lange Zeit kein Amoklauf vermochte. Mit Macht werden Fragen nach der Gefahr der großzügigen US-Waffengesetze laut. Auch republikanische Politiker lassen Bereitschaft erkennen, zumindest den einfachen Zugang zu besonders gefährlichen Sturmgewehren zu erschweren. Das wäre ein erster Schritt.

Doch das grundgesetzlich verbriefte Recht der Amerikaner, eine Waffe zu trage, bleibt tabu. Auch für Präsident Barack Obama, der sich nicht ausgerechnet im Wahlkampf mit der mächtigen Waffenlobby anlegen will. Äußerst vorsichtig und bedacht wägt er seine Argumente ab. Keinesfalls will er das Risiko eingehen und den Eindruck vermitteln, den „second amendment“, den zweiten Verfassungszusatz, infrage zu stellen, der das Recht auf Waffentragen verbrieft.

„Die AK-47 gehören in die Hände von Soldaten und nicht in die Hände von Gaunern“, sagt Obama mit Blick auf die Sturmgewehre. Doch ausdrücklich betont er, er glaube, dass die Verfassung den Bürgern das Recht gebe, Waffen zu besitzen. „Das Jagen und Schießen sind Teil einer geschätzten nationalen Tradition“, sagte er. Jagen, nationale Tradition? Klingt etwas eigenartig vor dem Hintergrund der Toten von Colorado.

Für Deutsche und Europäer im Allgemeinen ist die Debatte in den USA mitunter nur schwer nachzuvollziehen. „Ich habe ununterbrochen Schusswaffen besessen, seitdem ich sechs Jahre alt war“, bekennt der Anwalt und passionierte Jäger Michael McNulty in einem Namensbeitrag in der „Washington Post“. Doch auch der Mann aus Arizona richtet schwere Vorwürfe an die Waffenlobby NRA. Die Lobby habe „den Sportsmann längst hinter sich gelassen“, bei Sturmgewehren und anderen halbautomatischen Waffen gehe es um ganz Anderes.

Eindringlich macht der Anwalt eine Rechnung auf: Durch Waffen würden jedes Jahr in den USA dreimal mehr Menschen ermordet als bei den Terroranschlägen vom 11. September 2001, als rund 3000 Menschen ums Leben kamen. „Doch gesegnet seien die Waffenhersteller“, schreibt McNulty, „denn sie werden im Voraus begnadigt.“