Unauffällig, adrett, ein Musterstudent. Warum Holmes im Kino von Aurora tötete, ist unklar. In seiner Wohnung fand die Polizei zudem 30 Sprengsätze.

Denver. Er sei kein Mann der vielen Worte, adrett, unauffällig, gewissenhaft. So beschreiben Nachbarn den mutmaßlichen Amokschützen von Denver. Am Freitag hatte der 24-Jährige in einem Kino in der Nähe der Hauptstadt des US-Bundesstaates Colorado zwölf Menschen umbrachte. Zweistöckige Häuser mit roten Dachziegeln – der Vorort von San Diego, aus dem der 24-Jährige kommt, atmet gediegenen Wohlstand. Die Polizei hat zwischenzeitlich alle Sprengfallen im Apartment des Attentäters in Aurora entschärft.

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In der Nacht zum Sonntag verlautete aus Ermittlerkreisen, es seien rund 30 Sprengsätze entdeckt worden. Sie seien mit Drähten mit einem Schaltkasten in der Küche verbunden gewesen. Zudem hätten sich in der Wohnung zwei Behälter mit explosiven Flüssigkeiten und eine große Menge scharfer Munition befunden. „Diese Wohnung war konzipiert, jeden zu töten, der sie betritt“, sagte der Polizeichef von Aurora, Dan Oates. Ein Sprengstoffexperten erklärte, im Falle einer Explosion wäre vermutlich der gesamte Gebäudekomplex in die Luft gegangen.

Auf einem Jahrbuchfoto aus seiner Highschool-Zeit blickt der Sohn einer Krankenschwester und eines Managers bei einem Software-Unternehmen freundlich lächelnd in die Kamera. Dunkelhaarig und groß gewachsen ist James Holmes, ein Ass in Naturwissenschaften.

Warum der Student der Neurowissenschaften am Freitag bei der Mitternachtspremiere des neuen „Batman“-Films „The Dark Knight Rises“ nach Polizeiangaben wahllos um sich schoss, darüber rätselt ganz Amerika. Er selbst schweigt bislang. Auch das Internet gibt keinen Aufschluss. Von ihm sind keine Einträge bei Facebook, LinkedIn, MySpace oder Twitter zu finden. Entweder er hat alle Spuren im Netz über sich gelöscht oder war nie in sozialen Netzwerken aktiv, was für einen jungen Mann seines Alters zwar etwas ungewöhnlich, aber keineswegs in irgendeiner Weise alarmierend wäre.

Ein langjähriger Nachbar der Familie in San Diego, wo Holmes aufwuchs, erinnert sich an ihn nur als einen „schüchternen Jungen...einen Einzelgänger“, an die Familie als Kirchgänger. Er spielte Fußball in der Schulmannschaft, machte Geländeläufe. Doch in seinem auf den ersten Blick beschaulich wirkenden Leben gab es erste Brüche. Holmes habe nach seinem Abschluss in Neurowissenschaften an der University of California, Riverside (UCR), keine Arbeit gefunden, sagte der Nachbar, ein Elektroingenieur in Ruhestand. Dabei habe H. seinen Abschluss mit Auszeichnung gemacht.

Im vergangenen Jahr schrieb sich H. in dem Programm für Doktoranden der University of Colorado-Denver ein, wie die Hochschule mitteilte. Im Juni 2012 habe er aber abgebrochen, warum, wurde nicht bekannt. Er sei einer der Besten gewesen, sagte UCR-Rektor Timothy P. White. H. habe Verhaltenswissenschaften studiert. „Es ist paradox und traurig zugleich“, fügte er hinzu.

Aus H. wird „The Joker“

Irgendwann in seinem Leben muss H. an einen Punkt gekommen sein, wo er sich das Haar rot färbte, sich selbst „The Joker“ nannte, wie der Bösewicht aus den „Batman“-Filmen. H. hat sich Behördenangaben zufolge am Freitag ganz regulär eine Eintrittskarte gekauft. Dann habe er sich versteckt und umgezogen und als die Mitternachtspremiere angelaufen sei mit Helm, Schutzbekleidung sowie einer Gasmaske den Kinosaal 9 betreten. Anschließend habe er Büchsen mit Gas in den Raum geworfen und inmitten des Rauches begonnen, mit einem halbautomatischen Maschinengewehr, einer Pistole und einer Schrotflinte wahllos auf die Besucher zu feuern. H. wurde auf dem Parkplatz vor dem Kino festgenommen.

Vier Waffen wurden nach der Tat in dem Kino gefunden, die alle innerhalb der vergangenen zwei Monate legal gekauft wurden. Der Verdächtige habe außerdem 6.000 Schuss Munition über das Internet erworben, teilte die Polizei mit. Den Ermittlern zufolge kaufte H. am 22. Mai eine Glock-Pistole in Aurora, dem Ort des Verbrechens, sechs Tage später eine Remington-Schrotflinte in Denver. Zwei Wochen danach habe er sich ein Gewehr der Marke Smith & Wesson Kaliber .223 in Thornton in Colorado besorgt, dann eine zweite Glock am 6. Juli in Denver, 13 Tage vor dem Amoklauf, wie die Polizei mitteilte. Ein Trommelmagazin für 100 Schuss für das Sturmgewehr sei am Tatort sichergestellt worden. Er hätte damit bis zu 60 Schuss innerhalb einer Minute abgeben können, sagte Polizeichef Dan Oates.

Die Mutter eines Jungen, der mit H. in der Junior-Schulmannschaft Fußball spielte, bestätigt den Eindruck des Nachbarn der Familie H. „Ich glaube nicht, dass viele der Kinder (seine Teamkameraden) ihn kannten. Er war ein ziemlicher Einzelgänger“, sagte sie.

Ein Möbelpacker, der in der Nachbarschaft von H. in Colorado wohnt, hat den 24-Jährigen am Dienstagabend noch in einer Bar getroffen. Nachdem H. ihn angesprochen habe, „sprachen wir nur über Football. Er hatte einen Rucksack und eine Intellektuellen-Brille auf und wirkte wie ein schlauer Typ. Ich hielt ihn für einen College-Studenten.“ Ihm hätten die Haare zu Berge gestanden, als er H. auf einem Foto erkannt habe. Den kenne er doch, habe er sich gedacht.

H. verweigert bislang die Aussage. Er habe nur nach einem Anwalt gefragt, teilte die Polizei mit. Seine Familie erklärte am Freitag, in Gedanken bei den Angehörigen der Opfer zu sein. „Wir bitten darum, dass die Medien in dieser schwierigen Zeit unsere Privatsphäre respektieren.“ Am Freitagmorgen wurde der Vater des Verdächtigen von der Polizei mitgenommen, die Mutter blieb in dem Haus in San Diego und empfing Besucher, die ihr Mitgefühl ausdrücken wollten. Eine Polizeisprecherin sagte, die Familie sei verständlicherweise sehr bestürzt und durcheinander.

H. ist nicht polizeilich bekannt, der Polizei zufolge hat er Zeit seines Lebens noch nicht einmal einen Strafzettel erhalten. Jetzt ist er vermutlich ein Amokläufer, der zwölf Menschen das Leben nahm und Dutzende verletzte.

Mit Material von dapd/rtr