Eisenbahnbetrieb in Großbritannien massiv bedroht

London. Bis zu viereinhalb Stunden saßen mehr als 80 000 Pendler auf der Fahrt in den Feierabend fest, weil Kupferdiebe die Signalanlage bei Woking, südlich von London, stillgelegt hatten. Es war einer der folgenreichsten unter den 995 Fällen von Kabelklau, die Englands Bahnreisenden in diesem Jahr Verspätungen von insgesamt 6088 Stunden beschert haben - im Südosten des Landes ein Anstieg um 700 Prozent in den vergangenen zwei Jahren.

"Nach Terrorismus ist Kabeldiebstahl unser größtes Problem", sagt die Bahnpolizei. 110 Beamte sind ausschließlich gegen die, wie Verkehrsminister Norman Baker es ausdrückte, "größte Bedrohung unseres Eisenbahnbetriebs" im Einsatz. Fünf Tage vor Heiligabend gründete auch Scotland Yard ein auf Metalldiebstahl- und Schrotthandelverbrechen spezialisiertes Dezernat. 2012 will das Parlament ein Gesetz verabschieden, das Altmetallhändler strengeren Kontrollen unterwirft und das Höchststrafmaß von derzeit 1200 Euro empfindlich verschärft. Die Verdoppelung des Kupferpreises auf über 6000 Euro pro Tonne in zwei Jahren hat den Kabelklau "attraktiver" denn je gemacht. National Rail (NR), Betreiber des Schienennetzes, verzeichnet täglich sechs bis acht versuchte oder vollendete Fälle, weitere 705 ereigneten sich 2011 bei der Londoner U-Bahn. Landesweit werden jede Woche bis zu 10 000 Metalldiebstähle gemeldet. Den Schaden schätzt die Polizei auf 1,2 Milliarden Euro im Jahr. Allein NR hat die Bahngesellschaften in den vergangenen zwei Jahren mit 52 Millionen Euro für Zugverspätungen entschädigen müssen. Doch nicht nur die materiellen Kosten sind horrend: Jeden Monat kommen mindestens zwei Menschen bei dem Versuch ums Leben, Kabel abzukneifen, die zum Teil unter 25 000 Volt Strom stehen.

Der BBC interviewte vor Kurzem einen Kabeldieb. "Ich weiß von einem Kumpel, der dabei beide Arme und ein Bein verloren hat", erzählte "Jim". "Trotzdem gibt es jede Menge Leute, die bereit sind, das Risiko einzugehen. Denn mit Schrott kannst du heute leicht klotzig Geld machen. Gefasst wirst du nur jedes fünfte, sechste oder siebte Mal. Das zahlt sich mehr als aus."