Die linke Fahrspur in Autobahnbaustellen ist zu eng, mahnen Deutschlands Autoklubs. Die meisten Wagen fahren dort verbotswidrig.

Stuttgart. Die linke Fahrspur in Autobahnbaustellen löst bei so manchem Fahrer Beklemmungen aus. Und aus Sicht von Experten sind sie "tückische Crash-Fallen". Der Autoclub Europa und der ADAC werben in einer gemeinsamen Initiative für breitere Fahrbahnen. Grund sind gestiegene Unfallzahlen in Baustellen. Ausschließlich rechts zu fahren kostet Nerven. Angesichts dahinschleichender Lkw weicht mancher verbotswidrig nach links aus.

"Jede entschärfte Baustelle ist ein Plus an Verkehrssicherheit", mahnte ACE-Sprecher Rainer Hillgärtner gestern in Stuttgart. Auch zum Schutz der Beschäftigten im Straßenbau müsse eine Richtlinie endlich in Kraft gesetzt werden. Der ACE forderte die Ministerien in Bund und Ländern auf, sich auf ein Mindestmaß von 2,10 Metern zu einigen. Besser sei aber eine Verbreiterung der Spur auf 2,50 Meter. Der ADAC plädierte für eine erlaubte Wagenbreite von einheitlich 2,20 Metern.

Schon der Golf VI misst mehr als zwei Meter und darf häufig nicht links fahren

Viele Autofahrer missachten auf Autobahnbaustellen die Straßenverkehrsordnung, ohne es zu wissen. Sehr häufig steht an der Einfahrt ein Verkehrsschild, das Fahrzeugen über zwei Meter Breite die Nutzung der linken Spur untersagt. Tatsächlich sind die meisten Autos breiter als zwei Meter, wenn man die Außenspiegel mitberechnet. Das gilt schon für den aktuellen Golf VI, der eine Gesamtbreite von 2,04 Metern hat. Die Spiegel müssen aber mitberechnet werden, denn das Verbot gilt für die tatsächliche Breite und nicht für die in der Zulassung aufgeführte. Die "Zwei-Meter-Falle" kann den Autofahrer 20 Euro Bußgeld kosten. Gibt es einen Unfall muss er sogar mit einer Anzeige rechnen. Ohnehin gehen die neuen Fahrzeuggenerationen in die Breite. Beim Vergleich des VW Golf 1 zum aktuellen Modell ergibt sich ein Zuwachs von 17 Zentimetern bei der Karosserie. Allerdings hatte das Modell noch keinen rechten Außenspiegel. Der musste extra bestellt und bezahlt werden. Es nützt auch nichts, ihn einzuklappen. Ohnehin kann man meist nur beide einklappen, was natürlich verboten ist. Bei neueren Modellen ist der zweite Spiegel Teil der Zulassung, teilte der ADAC mit.

Seitenaufprallschutz, Airbags sowie mehr seitliche Bewegungsfreiheit in den neuen Autos fordern Raum. Hinzu kommt der Trend zu Familienvans und Geländewagen. Der ADAC fand beim Vermessen von 280 aktuellen Autotypen heraus, dass juristisch für 67 Prozent von ihnen ein Fahrverbot auf engen linken Autobahnfahrstreifen gilt. Die aus Verbrauchersicht nahe liegende Lösung, in den Fahrzeugpapieren die tatsächliche Breite anzugeben, ist nach Einschätzung des ACE nicht umsetzbar. Das baden-württembergische Verbraucherministerium erklärt, dass die Bestimmungen der Fahrzeugbreite EU-weit harmonisiert seien und eine einseitige nationale Änderung deshalb nicht möglich sei.

Der ACE zählte Mitte Oktober bundesweit 511 Autobahnbaustellen mit einer Gesamtlänge von rund 1960 Kilometern. Nach Angaben des Clubs häufen sich die Unfälle in Baustellen. Sowohl die Zahl der schweren Verkehrsunfälle als auch die Zahl der Verkehrsopfer liegen über den Durchschnittswerten jener Strecken ohne Baustellen. 2010 waren es 1237 Unfälle mit Personenschäden; die Zahl der Verletzten betrug 2015, die der Toten 18. Nach tendenziell rückläufigen Opferzahlen bis 2007 stiegen sie in den vergangenen drei Jahren wieder deutlich an.

Schleswig-Holstein peilt eine Fahrbahnbreite von 2,50 Metern an

In den Bundesländern wird nach Angaben des ACE unterschiedlich auf das Problem reagiert. In Rheinland-Pfalz wurde ein Modellversuch zum versetzten Fahren in Baustellen angeschoben. Dabei dürfen die Autos auf dem linken und dem rechten Fahrstreifen nicht mehr parallel nebeneinander fahren. Ergebnis: Die Zahl der Unfälle ging um ein Drittel zurück. Bayern, Nordrhein-Westfalen und das Saarland versuchen schon heute, die Fahrspurbreite auf mindestens 2,10 Meter auszuweiten, Schleswig-Holstein und Bremen peilen die 2,50-Meter-Marke an.