In London gehen sogar Abstellkammern als Behausung reißend weg, denn die Wohnungspreise sind unerschwinglich

London. Gut 4000 Menschen sind am Wochenende in Hamburg auf die Straße gegangen, um gegen den Mietwucher in der Stadt zu protestieren. Sie kennen die Preise in London nicht. In Teilen der britischen Hauptstadt sind die Mieten in den vergangenen zwölf Monaten um 15 bis 20 Prozent gestiegen. In diesen Tagen schockte der Online-Immobilienmakler FindaProperty.com mit der Meldung, dass die typische Miete in der Acht-Millionen-Stadt mittlerweile das landesweite Durchschnitts-Nettoeinkommen übersteigt.

In Zahlen: Der berufstätige Brite bringt im Schnitt monatlich 2205 Euro netto nach Hause, während die durchschnittliche Monatsmiete in London 2378 Euro beträgt - annähernd das Zweieinhalbfache des Mietniveaus im Rest des Königreichs. Wohl liegen die Löhne und Gehälter in der Themse-Metropole zumeist weit über den Bezügen in der Provinz, aber selbst vom Londoner Durchschnittseinkommen verschlingt die Miete mehr als drei Viertel.

Traditionell träumt jeder Brite vom eigenen Häuschen. Bankenkollaps und Wirtschaftskrise, schrumpfender Stellenmarkt und steigende Inflationsrate machen es jedoch vielen unmöglich, die für ein Darlehen nötige Anzahlung aufzubringen. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als zu mieten. Im gesamten Land ist die Zahl der Mieter in den vergangenen fünf Jahren um fast eine Million hinaufgeschnellt.

Am krassesten ist der Anstieg in London. "Wir sind der mit Abstand größte Mietmarkt in ganz England", sagt die Immobilienanalystin Samantha Baden, "die einzige Region mit mehr Miet- als Kaufangeboten." Trotzdem ist die Nachfrage noch größer als das Angebot. "Deshalb haben immer noch die Vermieter das Sagen. Das bedeutet, die Preise hier werden weiter steigen, und zwar schneller als im übrigen Land."

Für Londons teuerste Mietwohnung, ein Penthouse mit sechs Schlafzimmern, werden derzeit 45 850 Euro verlangt - pro Woche. Sie liegt im Nobelstadtteil Kensington. Dort und im Nachbarviertel Chelsea, wo die durchschnittliche Monatsmiete für eine Dreizimmerwohnung 3110 Euro beträgt, können sich selbst einheimische Topverdiener kaum noch ein Domizil leisten. Nur 42 Prozent der Mieter in diesen Edelgegenden sind Engländer, berichtet Liam Bailey von der Agentur Knight Frank. Die Übrigen sind Ausländer, unter ihnen 13 Prozent Amerikaner. Drei Prozent kommen aus Russland, Tendenz steigend.

Gut jede dritte Familie, 38 Prozent, die auf dem Privatsektor mietet, muss nach Ermittlungen des Obdachlosenhilfswerks Shelter Abstriche an der Ernährung vornehmen, um Schulden beim Hauswirt zu vermeiden. "Die Folgen von unerschwinglichen Mieten sind dramatisch", sagte Shelter-Chef Campbell Robb. "In Ermangelung günstigerer Alternativen sehen sich Normalbürger gezwungen, ihre Ausgaben für lebensnotwendige Dinge wie Ernährung und Heizung zu kürzen oder die Familie zu entwurzeln und wegzuziehen vom Arbeitsplatz, der Schule oder Freunden."

Jenny Jones, Mitglied der Londoner Bürgerschaft, verlangt ein "radikales Umdenken" von der Regierung und von Bürgermeister Boris Johnson: "Sie könnten eine Menge von anderen europäischen Ländern lernen. In Deutschland erhalten Hauswirte Steuervergünstigungen, die es für sie lohnenswert machen, Wohnraum von anständiger Qualität mit Mieterschutz anzubieten." Chronischer Mangel an Mietimmobilien verschärft die Lage. "Auf jedes Objekt, das auf den Markt kommt, melden sich im Schnitt 25 Bewerber", hat der auf Vermietungen spezialisierte Makler Stephen Ludlow beobachtet. Viele Vermieter verlangen feste Gebote im verschlossenen Umschlag. Gewiefte Interessenten legen gleich bei der ersten Besichtigung eine Anzahlung auf den Tisch. Die meisten Wohnungen werden binnen fünf Tagen vermietet.

In London gibt es zurzeit 653 000 Wohngemeinschaften

Wohnungsmangel und Mietenexplosion haben den WGs neuen Auftrieb verschafft. Nach jüngsten Berechnungen zählt London zurzeit 653 000 Wohngemeinschaften. Die durchschnittliche Zimmermiete liegt bei 596 Euro im Monat, halb so viel wie eine Wohnung am Rande der Stadt.

Wer eine von Londons kleinsten Wohnungen ergattert, ehemalige Abstellschränke in alten Häusern, gehört zu den Glücklichen. Anny Hsu, 24, etwa wohnt im dritten Stock eines 100 Jahre alten Blocks in Notting Hill. Ihre 5,75 Quadratmeter große Behausung kostet 155 Euro die Woche, das sind 665 Euro im Monat, macht rund 115 Euro pro Quadratmeter. Die Werbekauffrau: "Es hilft, dass ich nur 1,57 Meter groß bin."