Wieder verkauft ein großes Modelabel bei H&M - diesmal ist es Versace. Denn mit Haute Couture ist in Europa kaum noch Geld zu verdienen.

Hamburg. Wo wird man die modebewusste und zugleich sparsame Frau am 17. November 2011 um 8 Uhr antreffen? Vermutlich im nächstgelegenen H&M-Geschäft. Denn dann bietet der schwedische Modekonzern auch Kollektionen des weltbekannten Designerlabels Versace an. Jedes Jahr gibt ein prominenter Schneider dort ein Gastspiel. Genauso schnell wie die Kleider auf der Stange sind, werden sie wieder vergriffen und im Laufe des Tages wohl auf Ebay zu finden sein.

Chefdesignerin Donatella Versace, 56, hat in ihrem italienischen Traditionsunternehmen tief in den Archiven gegraben und eine Art Best-of-Kollektion erstellt. "Die Kollektion für H&M ist die Essenz von Versace. Für die Kollektion haben wir Stücke aus vergangenen Kollektionen neu aufgelegt. Dazu gehören für Versace typische Elemente wie das Mäandermuster, die auffälligen Prints oder die knappen Schnitte. Ich bin gespannt, wie die globale Kundschaft von H&M die Teile von Versace tragen wird", sagt die Schwester des 1997 ermordeten Gianni Versace.

Schon Karl Lagerfeld arbeitete für H&M

Das Geschäft mit der Massenmode aus Couture-Häusern boomt. Das weiß der Mann am besten, der 2004 die erste Designer-Kooperation mit H&M startete: Karl Lagerfeld, 73. Und er fand daran so viel Gefallen, dass er fortan seine Kreativität auch bei anderen Produkten in den Dienst der Massen stellte: Steiff-Teddys, Schuhe für das italienische Label Hogan, ein Pop-up-Shop für die Kosmetikfirma Schwarzkopf, eine Kollektion für die US-Kaufhauskette Macy's oder Cola-Light-Flaschen gehören zu den Geschäftsfeldern des Deutschen.

Jetzt versucht Lagerfeld sogar eine eigene Günstig-Marke an die Kunden zu bringen: Der Chanel-Designer verkündete, im Februar 2012 eine Linie mit dem Namen "KARL" zu lancieren. Zuerst beschränkt sich Lagerfeld auf eine 70-teilige Damenkollektion mit den passenden Accessoires, eine Herrenkollektion soll später folgen. Die Stücke werden zwischen 60 und 300 Euro kosten, vertrieben wird "KARL" vorerst ausschließlich über das Internet. Bis Lagerfeld das Geschäft selbst übernimmt, kümmert sich der Onlineshop Net-a-Porter um den Verkauf der Ware. Die Kollektion wird dort vier Wochen lang exklusiv vertrieben, danach soll sie auch in ausgesuchten Boutiquen zu bekommen sein. Von Biker-Jacken bis Jeans ist alles dabei. Lagerfeld sagt: "Die Kollektion entspricht meinem aktuellen Geschmack, ihr Stil reflektiert das, was viele Menschen meiner Meinung nach gerade tragen möchten." Luxus bezahlbar zu machen sei sein Ziel.

Und noch ein Deutscher entwirft seit Kurzem für die Massen: Wolfgang Joop, 66. Wer zum Beispiel eine Lederjacke des Potsdamer Designers tragen möchte, muss nicht mehr lange sparen. Bei Galleria Kaufhof ist sie für 250 Euro zu haben. Joop, der auch schon Stützstrümpfe entwarf, hat aus seiner Vorliebe für solche Gastspiele nie einen Hehl gemacht, schließlich bringen sie Geld. Die Liaisons mit dem Massenmarkt sind für die Topschneider ein lukratives Geschäft. Joop finanzierte durch seine Nebenbeschäftigungen lange Zeit die Erhaltung seines eigenen Labels Wunderkind.

Um das Luxussegment in der Modebranche ist es derzeit in Europa nicht gut bestellt. Die Haute Couture, Königin der Mode, ist selbst für die großen Häuser zu einem teuren Prestigeprojekt geworden. Haute Couture bedeutet vor allem eins: Aufwand. Weil das in Frankreich ein geschützter Begriff ist, mit dem sich ausschließlich die Mitglieder der Modevereinigung Chambre Syndicale de la Haute Couture schmücken dürfen, müssen sich die Firmen jedes Jahr um die Mitgliedschaft bewerben. Ausschließlich Handarbeit ist erlaubt, an einem solchen Kleid sitzen die Schneider im Durchschnitt gut eine Woche. Die Preise sind mit bis zu 100.000 Euro dementsprechend astronomisch, und diese Kunstwerke sind im Alltag völlig untragbar.

Auch große Designer wie Christian Lacroix sind an diesen Kriterien zugrunde gegangen und mussten Konkurs anmelden. Offenbar sind reiche Europäerinnen an Haute Couture nicht mehr interessiert. Die Kundinnen für europäische Luxusmode kommen aus dem Nahen Osten, aus Indien, Russland und immer häufiger aus China. Wer Designerstücke verkaufen will, ist gut beraten, seine Kollektion nicht nur in Paris, sondern auch in Shanghai zu zeigen.

15 Milliarden Euro geben reiche Chinesen für Luxus aus

Mit 25 Prozent Wachstum pro Jahr sind Luxusartikel laut asiatischer Investmentfirma CLSA das am schnellsten wachsende Konsumgütersegment in China, 15 Milliarden Euro geben die Kunden dort jährlich dafür aus. Auch hier hat Lagerfeld ein Näschen fürs Geschäft; er präsentierte bereits im Dezember 2009 die Chanel-Paris-Shanghai-Kollektion in der chinesischen Metropole - eine eigens kreierte Sonderkollektion, um die neue kaufkräftige Klientel zu begeistern.

Véronique Nichanian, Chefdesignerin der Männermode im Hause Hermès, folgt dem guten Beispiel. Weil die neureichen chinesischen Millionäre dem französischen Traditionshaus die Ware aus der Hand reißen, fliegt die Chefdesignerin in Kürze zum ersten Mal nach China, um die Kollektion dort noch einmal zu präsentieren.