270 Menschen starben bei der Katastrophe in der Türkei. Zwei Kinder noch nach 20 Stunden lebend gefunden

Istanbul. Tausende Mobiltelefone wurden am Tag des schweren Erdbebens im Osten der Türkei und in den Stunden danach zu Boten von Hoffnung, Verzweiflung und, für die Glücklichsten, Erleichterung. Auch der 19-jährige Yalcin Akay hing nach dem Beben am Telefon; er hatte die Geistesgegenwart, den Polizeinotruf 155 zu wählen. Er steckte in den Trümmern eines eingestürzten sechsgeschossigen Gebäudes in Van. Am Ende gehörte er zu den Geretteten, ebenso wie zwei Kinder, die ebenfalls nach 20 Stunden lebend in dem Haus gefunden wurden.

Adem Ilhan sprach mit seinem Bruder am Telefon bis er starb

Aber Freud und Leid liegen oftmals dicht beieinander. Als Adem Ilhan vom Beben erfuhr, rief er seinen Bruder Celik an. Adem arbeitet in Istanbul, aber sein Bruder lebte in Van. "Celik nahm den Anruf an, und ich war erst erleichtert", berichtete Adem der türkischen Nachrichtenagentur DHA. Die Erleichterung wich Entsetzen, als Celik sagte, wo er sich befand: unter den Trümmern eines Kaffeehauses in Ercis, der vom Erdbeben am schlimmsten betroffenen Stadt nicht weit von Van. Seine Arme seien zerschmettert und eingeklemmt, sagte Celik, er bekomme kaum Luft zum Atmen.

Adem hielt die Verbindung aufrecht und versuchte, aus Istanbul Hilfe zu organisieren. Aber nach einer Stunde wurde Celiks Stimme schwächer. Als Adem am nächsten Tag nach Van flog, war es, um den Bruder zu beerdigen.

Mindestens 270 Tote, das ist die vorläufige Bilanz des drittschwersten Bebens, das die Türkei jemals heimgesucht hat. Mehr als 1300 Menschen sind verletzt, Tausende obdachlos. Die Geschichten der Toten und der Geretteten füllen die türkischen Medien, und wie immer, wenn die Natur zuschlägt, fällt es schwer zu begreifen, wieso der eine weiterleben durfte und der andere sterben musste.

Der 58-jährige Mustafa Yardimci war am Tag des Bebens nach Ercis gefahren, um Freunde zu treffen. Gemeinsam aßen sie in einem Lokal zu Mittag, als die Erde bebte. Das Haus stürzte über ihnen ein. Yardimci hatte Glück - zunächst. Nach 15 Stunden grub man ihn lebend aus den Trümmern. Sein Bein war gebrochen, aber sonst ging es ihm gut. Yardimci sprach noch mit einem Neffen, dann lud man ihn in einen Krankenwagen, um ihn in ein Hospital in der Stadt Erzurum zu bringen. 25 Kilometer vor dem Ziel starb er an einem Herzinfarkt. Yardimci hinterlässt eine Frau und zwei Kinder.

Mehr Glück hatte ein 13-jähriger Junge namens Yunus, der in Ercis lebend gefunden wurde, aber erst nach Stunden aus den Trümmern befreit werden konnte. Man schob ihm für diese Zeit ein Kissen unter den Kopf.

"Wo ist Gott?", mögen sich viele Obdachlose gefragt haben, die in der bitterkalten Nacht (Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt) nach Schutz suchten. Andere waren verzweifelt, weil sie Freunde und Verwandte in dem Chaos nicht finden konnten. Für sie haben der Rote Halbmond und die Internetfirma Google einen Suchdienst bereitgestellt. Bis gestern wurden bei Google mehr als 2200 Angaben verfolgt.

Auch 200 Häftlinge eines örtlichen Gefängnisses hatten Glück im Unglück. Das Beben hatte eine Mauer der Haftanstalt einstürzen lassen, und sie waren ins Freie geströmt. Am nächsten Morgen waren viele von ihnen wieder zurückgekehrt, freiwillig, nachdem sie sich überzeugt hatten, dass ihre Angehörigen wohlauf waren.

Türkische Regierung lehnte Hilfe aus Israel ab

Die türkische Regierung ist indessen bei der eigenen Bevölkerung in die Kritik geraten. Zu langsam lief nach Meinung vieler die Hilfe an. Medial wirksam reiste Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sofort ins Krisengebiet. Aber internationale Hilfsangebote hat Ankara bislang ausgeschlagen, insbesondere solche aus Israel; die politischen Beziehungen beider Länder sind derzeit nicht di besten. Aus anderen Staaten werde man nur Helfer und Material, die bereits unterwegs seien, nicht zurückschicken. Man habe alles im Griff, sagte die Regierung, die Opferbilanz sei "nicht so erschreckend wie zunächst befürchtet", und auch die medizinische Versorgung sei ausreichend.