1998 wurde das Frauenporträt für 16 320 Euro versteigert. Ein Experte ist sicher: Es stammt vom Meister aus Vinci und ist sehr viel wert.

London. Selbstzufrieden registrierte der Christie's-Auktionator an der New Yorker Park Avenue, dass das Los Nr. 402 fast das Doppelte des Schätzpreises erzielt hatte: Einschließlich Provision erlöste die Zeichnung, im Katalog als "Kopf eines jungen Mädchens in Renaissance-Gewand im Linksprofil, deutsche Schule, frühes 19. Jahrhundert" ausgewiesen, 21 850 Dollar, nach heutigem Kurs 16 320 Euro.

Das war am 30. Januar 1998. Inzwischen scheint die Genugtuung von damals eher fragwürdig. In einem vor wenigen Tagen veröffentlichten 20-Seiten-Bericht listet Englands führender Leonardo-Experte Martin Kemp, 69, eine Serie von Indizien auf, die "mit hochgradiger Wahrscheinlichkeit bestätigen", die 33 mal 24 Zentimeter große farbige Feder- und Kreidezeichnung auf Vellum, einem besonders hochwertigen Pergament, sei 1496 entstanden und ein Werk des Meisters aus Vinci. "Alle Behauptungen, es handele sich um eine moderne Fälschung, eine Imitation aus dem 19. Jahrhundert oder eine Kopie eines verschollenen Leonardos sind damit effektiv gegenstandslos", erklärt der emeritierte Oxford-Professor für Kunstgeschichte.

Bei einer definitiven Zuschreibung wäre das Werk - der erste neu entdeckte Leonardo seit der "Dame mit dem Hermelin" (noch bis 28. November dieses Jahres im Berliner Bode-Museum zu sehen) vor fast 200 Jahren - zwischen 120 und 175 Millionen Euro wert. Der jetzige Eigentümer, ein anonymer Sammler in der Schweiz, hat das Bild, das er 2007 durch den Pariser Kunsthändler Peter Silverman für 22 000 Dollar erwerben ließ, nun auf mehr als 100 Millionen Dollar versichert.

Martin Kemp hat auch keinen Zweifel an der Identität des dargestellten Mädchens mit dem langen Zopf: "Es ist Bianca Sforza, die Tochter von Leonardos Förderer Ludovico Sforza, dem Herzog von Mailand, und seiner Maitresse Bernardina de Corradis."

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1496, im Alter von 13 Jahren, wurde die uneheliche Herzogstochter mit Ludovicos Truppenbefehlshaber Gian Galeazzo de Sanseverino vermählt; sie starb wenige Monate nach der Hochzeit, möglicherweise an einer Bauchhöhlenschwangerschaft. Der Kunsthistoriker vermutet, dass Leonardo da Vinci (1452-1519), 16 Jahre lang Hofmaler in Mailand, beauftragt war, die hübsche Braut als Hochzeitsgeschenk zu porträtieren.

Dafür spricht auch der jüngste Fund des Kunsthistorikers in seiner gut dreijährigen Fahndung nach der Vorgeschichte des Konterfeis, dem er den Titel "La Bella Principessa" (Die schöne Prinzessin) gegeben hat. In der Warschauer Nationalbibliothek stieß er in diesem Jahr auf "La Sforziada", einen illustrierten Vellum-Band vom Ausgang des 15. Jahrhunderts über das Mailänder Herrschergeschlecht.

Aus einer Inschrift geht hervor, dass er sich einst im Besitz der Familie Sanseverino befunden hatte. In dem Buch fehlt ein Blatt, offenbar mit einer Klinge herausgetrennt. Kemp legte "La Bella Principessa" an die leere Stelle, und alles passte: Drei kleine Nadellöcher am linken Rand stimmen haargenau mit der Bindung überein, das Pergament ist identisch, und sogar die Schnittspuren decken sich. "Das ist vielleicht ein Coup", staunte der gebürtige Kanadier Peter Silverman. Wann Biancas Bildnis aus dem Band entfernt und auf eine Eichentafel montiert wurde, bleibt vorläufig ungewiss.

Ebenso unklar ist, weshalb der Altmeisterexperte von Christie's in New York, Francois Borne, binnen 15 Minuten zu der Überzeugung gelangen konnte, die eindeutig von einem Linkshänder schraffierte Zeichnung sei deutscher Herkunft und keine 200 Jahre alt. Und warum Borne vor der Versteigerung den ursprünglichen italienischen Rahmen durch einen aus Deutschland, der aus dem 19. Jahrhundert stammt, ersetzte. Letzteres geschah zudem ohne Wissen der Verkäuferin, der im schweizerischen Genf lebenden Schwedin Jeanne Marchig.

Dieser Umstand könnte das Auktionshaus Christie's teuer zu stehen kommen. Denn obwohl ein New Yorker Berufungsrichter im Juli erste Schadenersatzforderungen der Sammlerwitwe und weltweit aktiven Tierschützerin als verjährt abwies, ebnet das Verschwinden des Originalrahmens in der Obhut des Auktionshauses den Weg zu einer neuerlichen Klage. Dabei dürfte es um etliche Millionen gehen - vorausgesetzt, das Gericht und die Kunstwelt schließen sich Martin Kemps Urteil über die Urheberschaft der "schönen Prinzessin" an.