Trauer um russisches Team und deutschen Nationalspieler. Kreml-Chef rügt Zustand der Flugzeuge

Moskau. Der 7. Mai 2010 war ein großer Tag für den Eishockeysport: Zur Eröffnung der Weltmeisterschaft im eigenen Land schlug Deutschland die USA überraschend mit 2:1. Und während 78 000 entfesselte Zuschauer in der Arena auf Schalke feierten, nahm der junge Verteidiger Robert Dietrich seine Mitspieler in den Arm und sang die Nationalhymne. Jetzt ist Robert Dietrich mit nur 25 Jahren tödlich verunglückt, mit dem Flugzeug abgestürzt, das ihn beim Saisonstart der russischen Profiliga KHL zu seinem ersten Spiel für Lokomotive Jaroslawl nach Minsk bringen sollte. Mit ihm starben seine Mannschaft, neun Funktionäre des Vereins und acht weitere Insassen des Jets.

Noch kurz vor Abflug hatte Dietrich mit seiner Freundin Lena Mendel in Düsseldorf telefoniert. "Er war glücklich, dass er spielen konnte, und hat sich auf die Saison gefreut", sagte sie. Und: "Er hat mir versprochen, dass er sich direkt nach der Landung bei mir meldet."

Die fast 20 Jahre alte Maschine vom Typ Jak-42 war kurz nach dem Start in Jaroslawl rund 240 Kilometer nordöstlich von Moskau abgestürzt. Bei klarer Sicht habe sie, womöglich wegen eines Triebwerksschadens, die erforderliche Höhe nicht erreicht und sei gegen einen Funkmast geprallt, hieß es. Dann zerschellte sie am Ufer der Wolga.

Das Unglück fügt sich in eine lange Reihe von Flugzeugkatastrophen in Russland. Allein in den vergangenen zwei Jahren haben bei sechs schweren Unfällen 200 Menschen ihr Leben verloren. Prominentestes Opfer war Polens Präsident Lech Kaczynski, der im April 2010 bei Smolensk den Absturz einer Tupolew Tu-154 wie 95 weitere Insassen nicht überlebte. Technisches Versagen veralteter Maschinen, schlampige Wartung oder Pilotenfehler: Die Diskussionen um die Sicherheit im russischen Luftraum rissen nie ab, aber geändert hat sich an den Umständen wenig.

Präsident Dmitri Medwedew, der gestern die Unglücksstelle besichtigte, zeigte sich empört: "Priorität haben die Passagiere, nicht die Interessen der Luftfahrtbranche. Ich werde die Regierung mit der Modernisierung der Branche beauftragen. Aber die Lage bleibt schwierig", erklärte er.

Tatsächlich ist diesmal der öffentliche Druck auf Medwedew und Verkehrsminister Igor Lewitin besonders stark. Denn beim jüngsten Absturz, den nur zwei Insassen schwerst verletzt überlebten, wurde der dreimalige KHL-Meister Lokomotive Jaroslawl praktisch ausgelöscht. Ein Spitzenteam, gespickt mit einem kanadischen Trainer, russischen Stars und Top-Legionären aus Tschechien, der Slowakei, Schweden, Lettland und der Ukraine, die wie Robert Dietrich dem Ruf der von Oligarchen geförderten, zweitbesten Eishockeyliga der Welt gefolgt waren.

Erinnerungen an Turin 1949 und München 1958 werden wach, wo mit dem AC Turin und Manchester United die besten Fußballteams ihrer Zeit bei Abstürzen getötet wurden. Entsprechend groß ist die weltweite Anteilnahme bei Eishockeyspielern und -funktionären. Dennis Seidenberg, der im Juni in der nordamerikanischen Liga NHL mit den Boston Bruins Meister wurde, spielte 2007 mit Absturzopfer Josef Vasicek für Carolina. "Eine schreckliche Nachricht." Auch Buffalos Christian Ehrhoff verlor zwei ehemalige Teamkameraden. Mit Robert Dietrich hat er in der deutschen Nationalmannschaft und mit Pavol Demitra in Vancouver zusammengespielt. "Ich werde sie als Menschen und Spieler vermissen."

Während am Absturzort bislang erfolglos nach dem Flugschreiber getaucht wurde, stellte die russische Profiliga, in der mit Eduard Lewandowski und dem ehemaligen Hamburger und erst kürzlich von Jaroslawl zu Mytischtschi gewechselten Dimitrij Kotschnew auch zwei Deutsche spielen, ihren Betrieb bis auf Weiteres ein. Schon laufende Spiele wurden abgebrochen, weinende Fans verließen die Arenen.

Auch in Deutschland herrscht tiefe Trauer. Die Nationalmannschaft und die Deutsche Eishockey Liga sind bestürzt über den Verlust von Dietrich. Der 1986 in Kasachstan geborene, technisch versierte Vorzeige-Athlet, der unter anderem für Kaufbeuren und Düsseldorf gegnerische Stürmer zur Verzweiflung brachte, war vor einem Jahr auch bei den Hamburg Freezers im Gespräch. Doch er entschied sich für die Adler Mannheim, die er aber nach einer Saison wieder verließ. In einer Woche spielen die Freezers zuhause gegen Mannheim. Mit Trauerflor.

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