Die Hälfte der Bundesbürger ist in ihrer Freizeit gern an der frischen Luft zu Fuß unterwegs. Allerdings nicht mehr so gern in Gruppen wie früher.

Hamburg. Rot kariertes Hemd, Kniebundhose, Filzhut mit Gamsbart, so stellen sich wohl viele noch den deutschen Wanderer vor. "Doch dieses Klischee ist längst überholt", sagt Natursoziologe Rainer Brämer vom Deutschen Wanderinstitut in Marburg.

Die Deutschen wandern. Nicht mehr so gerne in Gruppen wie früher. Aber sie wandern. Laut Studien sind es 35 bis 40 Millionen, die sich hierzulande dazuzählen, die Hälfte der Bevölkerung, wobei da womöglich schon die Absicht oder der Sonntagsspaziergang im Wald mitzählen. Unbedingt dazu zählen deutsche Politiker, parteiübergreifend machen sowohl Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Oppositionsführer Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) in den Dolomiten Ferien.

Ex-Moderator Manuel Andrack hat gerade sein drittes Buch über das Wandern geschrieben. Er schätzt die Zahl auf ein bis zwei Millionen regelmäßige Wanderer, der Rest seien Gelegenheitswanderer. "Ich bin ja froh, dass es diese 40 Millionen Wanderer nicht gibt, sonst würden die ja alle schönen Wanderwege verstopfen."

Kommende Woche findet im Osnabrücker Land der Deutsche Wandertag statt, nicht gerade eine Kernregion, denn in Niedersachsen ist der Anteil der Wanderer mit am kleinsten, haben Forscher errechnet. Allein am Festumzug in Melle sollen 10.000 Menschen teilnehmen, und auch Bundespräsident Christian Wulff, der in Osnabrück geboren wurde, wird beim Wandertag demonstrativ wie viele seiner Vorgänger ein Stück gehen.

"Der Trend geht zum Individualwandern", sagt Brämer. Das starke Geselligkeitsgefühl in Vereinen schrecke viele Wanderer ebenso ab wie Gruppenwandern. Beim Deutschen Wanderinstitut werden alle zwei Jahre Profilstudien erstellt. Die Ergebnisse verändern sich nur unwesentlich. Womöglich liegt in der Unveränderlichkeit gerade die zunehmende Attraktivität. Man muss eben zu Fuß gehen. Punkt. Auch wenn heute kaum noch ein vernünftiger Mensch ohne unter Extrembedingungen geprüfte Funktionskleidung, Hightech-Schuhe und -Stöcke sowie GPS-Gerät vor die Tür geht. Entsprechend steigend sind die Umsätze der Branche. Tagestouristen geben auf ihren Wanderungen 5,7 Milliarden Euro pro Jahr aus, bei Touren mit Übernachtung liegen die Ausgaben bei 1,7 Milliarden Euro. Hinzu kommen noch etwa 3,4 Milliarden Euro für Ausrüstung und eine nicht näher bestimmte Summe, die aber weit über der Milliardengrenze liegen soll, für Fahrtkosten.

Die Wissenschaftler haben herausgefunden, dass sich die Motive der Wanderer seit 20 Jahren nicht verändert haben. "Sie wollen Natur erleben und genießen", sagt Brämer. Den reinen "Kilometerfresser" gebe es kaum noch. Besonders Berge laden offenbar zum Wandern ein, denn laut einer Studie gibt es beim Anteil der Wanderer in der Bevölkerung ein deutliches Süd-Nord-Gefälle. In Bergregionen gingen die Menschen schon recht lange gezwungenermaßen zu Fuß. So etwas hält sich.

Der durchschnittliche Wanderer ist etwa 50 Jahre alt. In den Wandervereinen liegt das Alter nach Einschätzung von Brämer noch etwas höher. Er sagt den für Jüngere ermutigenden Satz: "Die Fähigkeit, schöne Landschaften zu genießen, steigt mit dem Alter." Der Forscher beobachtet seit etwa zehn Jahren eine deutliche Abkehr vom Wandern bei Kindern und Jugendlichen. Nur noch ein Bruchteil der Zwölf- bis 15-Jährigen wandere gerne. Manuel Andrack ist da anderer Meinung. Er sieht einen deutlichen Imagewandel und beobachtet zunehmend Studenten, die "plötzlich sagen: 'Wandern find ich cool'. Ich wäre, ehrlich gesagt, als Student nicht auf die Idee gekommen".

Die Wandervereine verlieren freilich kontinuierlich Mitglieder, gibt Ute Dicks vom Deutschen Wanderverband zu. Das ist ebenfalls kein wanderspezifisches Phänomen. Allerdings wirkt sich das auf die Infrastruktur aus. "Ohne Wandervereine kein Wandertourismus", sagt sie. Die deutschlandweit 200.000 Kilometer Wanderwege werden von den Vereinen gepflegt und instand gehalten.