Selbst berühmte und führende Kaugummimarken wie Wrigley's beugen sich neuerdings dem Trend zur Fitness fördernden Süßigkeit.

München. Sie war der Star einer Generation, doch nun hat sie ausgedient. An der gut eine Armlänge großen Kaugummipackung von Wrigley's Spearmint löst sich die Folie. Ein Tesastreifen klebt über einem der vielen Risse - ein Zeichen dafür, dass die Packung über Jahre hinweg nicht bewegt wurde. In der Münchner Zentrale des Kaugummigiganten Wrigley scheint sich niemand ernsthaft um den Oldie kümmern zu wollen. Er lagert irgendwo in der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit.

Die Packung war einst in einem der zahlreichen Werbespots zu sehen, die in den 70er- und 80er-Jahren im Fernsehen in Dauerschleife liefen. Fröhliche Menschen trugen Kaugummipackungen unterm Arm spazieren: über Berge, an Stränden entlang, durch schicke Innenstädte. Die Botschaft war klar: Wenn dich Wrigley's Spearmint begleitet, geht es lustiger und frischer zu. Dazu ertönte eine Melodie, die zu einer der bekanntesten Werbehymnen aller Zeiten wurde: "Wrigley's Spearmint Gum, Gum, Gum". Es waren die guten Zeiten. Bevor Spearmint zum Opfer eines Gesundheitstrends wurde.

Michael Kunze war Grundschüler, als die Spots im Fernsehen liefen. Der Manager ist Mitte 40 und leitet seit April die deutsche Niederlassung des US-Kaugummiunternehmens Wrigley. Im Münchner Vorort Unterhaching logiert er in einem Gebäude, an dem rein gar nichts an die Erfolgsmarke Spearmint erinnert. Die Zeiten sind vorbei, dass man im Haus damit prahlte. Gerade mal fünf Prozent des Umsatzes macht Wrigley in Deutschland noch mit dem Klassiker. Im globalen Ranking der beliebtesten Kaugummimarken liegt Spearmint laut Euromonitor auf Platz 26. Spearmint, das steht heute weniger für Coolness als für Karies. Immer weniger Kunden sind bereit, sich die Zähne mit einem zuckerhaltigen Kaugummi kaputt zu machen, wenn es gesündere Alternativen gibt. Nur noch 14 Prozent der hier verkauften Kaugummis enthalten Zucker, berichtet der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie. Tendenz sinkend.

Die Geschichte von Wrigley's Spearmint beginnt 1891 in Chicago: William Wrigley junior, 29, scheint von Marketing nicht viel zu verstehen, als er seine Firma gründet. Deren Erfolgsgeschichte beginnt mit zweimaligem Scheitern. Zuerst will er Seife verkaufen - doch die Kunden finden die Seife weniger attraktiv als die Backpulverpäckchen, die Wrigley gratis beilegt. Wrigley sattelt also auf Backpulver um und legt diesmal Kaugummistreifen als Geschenk bei. Wieder sind die Kaugummis begehrter als das Backpulver. Ein drittes Mal ändert er sein Geschäftsmodell, verkauft Kaugummis und verzichtet in weiser Voraussicht auf weitere Gratisbeilagen. Mit Juicy Fruit und Spearmint kreiert er so zwei Weltmarken.

Dazu trägt auch eine clevere Werbung bei. Wrigley erkennt, dass eine Marke wiedererkennbar sein muss, ein klares Profil braucht. Auch deswegen verändert er kaum etwas am 1893 entworfenen Verpackungsdesign von Spearmint: Die Ecken bleiben rot, ein grüner "Spearmint"-Pfeil in der Mitte zeigt immer nach rechts. Heute ist Wrigley mit Abstand weltgrößter Kaugummikonzern, mit sechs Milliarden Dollar Umsatz und 16 000 Beschäftigten. Das Geschäft mit Kaugummi gilt als hoch profitabel, allein in Deutschland erzielt Wrigley einen operativen Gewinn von 100 Millionen Euro. Auch deswegen zahlte der Mars-Konzern 2008 einen Rekordpreis für die Übernahme: umgerechnet rund 15 Milliarden Euro. In Deutschland ist das Unternehmen vielerorts Monopolist, der Marktanteil betrug 2009 knapp 74 Prozent, die sechs beliebtesten Marken gehören alle Wrigley: der Zahnpflegekaugummi Extra (26 Prozent), Airwaves (16 Prozent), Orbit (14 Prozent) sowie Hubba Bubba, 5Gum und Spearmint.

Der Gesundheitstrend geht gegen Spearmint. Geschmack mit Zusatznutzen zu verbinden wird künftig die Herausforderung der Branche sein. "Zahn- und Mundhygiene sind Riesenthemen", sagt Deutschlandchef Kunze. Der nächste Hit dürften Kaugummis werden, die nicht nur dem Mund, sondern dem ganzen Körper guttun. "Aufgrund seiner Beschaffenheit ist Kaugummi ein idealer Träger von Vitamin C oder Magnesium." Schon jetzt bietet das Unternehmen die Wellnessreihe Orbit Balance mit Vitaminzusätzen an.

Kunze betont, man verdiene mit Spearmint bis heute Geld - aus Imagegründen allein werde man keine Marke am Leben erhalten. Sein Werbebudget verwendet er fast ausschließlich für die Verkaufsschlager Extra, Orbit, Airwaves und das junge Produkt 5Gum. Die große Spearmint-Packung wird weiter im Büro vergilben. Die süße alte Zeit ist wohl wirklich vorbei.