Die österreichische Bergsteigerin Gerlinde Kaltenbrunner hat Halbzeit am K2. Es ist der letzte Achttausender, der ihr noch fehlt.

Hamburg. Sechsmal ist Gerlinde Kaltenbrunner an der 8611 Meter hohen Pyramide aus Eis und Stein gescheitert - beim letzten Anlauf stürzte ihr guter Freund Fredrik Ericsson vor ihren Augen in den Tod -, und doch ist die Österreicherin wieder aufgebrochen, um den K2, ihren persönlichen Schicksalsberg, zu bezwingen. Inzwischen hat sie das Basislager in 4650 Meter Höhe erreicht, das sogenannte Italien Basecamp. In 5300 Meter errichtete die Gruppe um die Extrembergsteigerin ein Depot. Inzwischen warten Kaltenbrunner und ihr Team auf besseres Wetter. Auf ihrer Webseite schreibt sie, dass zwei Träger sie verlassen hätten. Der Einsatz sei ihnen zu anstrengend gewesen. Die Bergsteigerin ist aber zuversichtlich, diesmal den K2 zu bezwingen. Angst habe sie keine.

"Der Mensch im Angesicht der Natur ist so klein und so unbedeutend"

Der Berg, den die Chinesen Chogori (Der Große) und die Pakistaner Lambha Pahar (Hoher Berg) nennen, gilt als der schwierigste aller 14 Achttausender. Statistisch gesehen kommt an seinen Felswänden auf vier erfolgreiche Besteigungen ein Todesfall.

In einem dpa-Interview der 40-Jährigen vor diesem neuerlichen Anlauf schwang eine Prise Fatalismus und Demut mit. "Der Mensch im Angesicht der Natur ist so klein und so unbedeutend", sagte Kaltenbrunner. "Der Tod ist Teil des Lebens, für den einen kommt er früher, für den anderen später." Das sind Sätze so schwer wie Bergmassive. Kaltenbrunner weiß, wie viel sie riskiert.

Erst im August 2010 musste sie aus wenigen Metern Entfernung mit ansehen, wie der Extremskifahrer Fredrik Ericsson abstürzte. Ihren Bergkameraden beschrieb sie im Magazin der "Süddeutschen Zeitung" als Optimisten ohne Leichtsinn, der gern aus mehreren Tausend Metern Höhe mit seinen Skiern abgefahren sei. Auch den tödlichen Moment fasste sie in Worte: "Wir waren überzeugt, dass dies unser Gipfeltag sein würde. In den steilen Passagen des Flaschenhalses wollten wir uns gegenseitig sichern. Fredrik versuchte einen Haken in den Fels zu schlagen. Ob sich dabei ein Felsblock löste oder unter seinen Füßen der Fels wegbrach, konnte ich nicht erkennen. Er verlor den Halt und stürzte an mir vorbei, gefolgt von einem Felsbrocken. Er fiel über 1000 Höhenmeter in die Tiefe."

Trotz dieser schmerzlichen Erlebnisse lässt der K2 Kaltenbrunner nicht los. Ob Annapurna, Nanga Parbat oder Mount Everest - auf allen anderen Achttausendern der Welt hat sie schon gestanden. Nur der K2 fehlt noch. Der widerspenstige Berg, dessen Wetterkapriolen mit Triebschnee, Schwimmschnee und heftigen Winden sie so häufig stoppten, hat die Sportlerin auch um den Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde gebracht. Sie hätte die erste Frau sein können, die alle Achttausender bestiegen hat. Um diesen Titel lieferte sich Kaltenbrunner bis ins vorige Jahr einen Wettkampf mit der Spanierin Edurne Pasaban und der Südkoreanerin Oh Eun-sun - zur Freude der Medien, die den Dreikampf vermarkteten.

Letztlich sicherte sich Oh Eun-sun den Status - wohl auch, weil sie auf Hilfen wie Hubschrauberflüge ins Basislager und Flaschensauerstoff zurückgriff. Kaltenbrunner, die Bergsteiger einst "Cinderella Caterpillar" (deutsch: Planierraupe) tauften, vertritt hingegen einen puristischeren Kletterstil. Für sie zählt nicht nur das Ziel, der Gipfel, sondern auch der Weg dorthin.

Sollte dieser Anlauf nicht klappen, würde sie es noch mal versuchen

Ihr Mann, der Höhenbergsteiger Ralf Dujmovits, ist bei der diesjährigen Tour dabei. Wann sie den Gipfel erreichen und ob überhaupt bei diesem Versuch, weiß nur der Wettergott. "Ich werde bis an mein Lebensende bergsteigen", sagte sie. Auch wenn es andere kaum verstehen könnten, es sei ihr Lebensweg, dafür habe sie sogar auf Kinder verzichtet. Was sie antreibt, ist nicht zuletzt der perfekte Augenblick. "Wenn ich auf einem Gipfel bin, dann spüre ich große Freude, totale Stille und tiefe Dankbarkeit." Blind für die Gefahr sei sie aber nicht, sagte Kaltenbrunner. "Auf Biegen und Brechen besteige ich keinen Berg." Sollte sie wieder abbrechen müssen, würde sie einen neuen Anlauf nehmen