Der Anzugträger auf der Anklagebank wirkt seriös und aufgeräumt. Mit einem knappen Nicken bestätigt Olaf H., der Mörder des kleinen Mirco zu sein.

Krefeld. Oft scheint es so, als würde Olaf H. lächeln oder sogar grinsen. Die Mundwinkel und die schmalen Lippen zucken nach oben, dann nickt er und bestätigt: „Ja“. Dass die Menschen stundenlang vor dem Schwurgerichtssaal des Krefelder Landgerichts anstehen, um einen Blick auf ihn - den geständigen Kindermörder - zu werfen, scheint ihn nicht sonderlich zu belasten. Seinen Verteidiger Gerd Meister lässt er den Mord sofort einräumen. „Es wurde fair ermittelt. Die Beweislage ist vernichtend“, sagt der Anwalt. Das Verfahren werde „Einblicke in Abgründe“ gewähren, kündigt der Verteidiger an. Der 45-Jährige habe Mirco in seinem Auto entführt und mit einer Schnur erdrosselt.

Dass er zur Leiche noch mal zurückgekehrt sei und ihr ein Messer in den Hals gerammt habe, stimme aber nicht. Auch sei nicht die Wut über eine ausgebliebene Erektion das Motiv, sondern schlicht die Tatsache, dass er gedacht habe: „Du bist schon viel zu weit gegangen. Den kannst du nicht laufen lassen“.

Der Vorsitzende Richter Herbert Luczak greift zu einem dicken Packen Papier und beginnt vorzulesen. Drei Stunden lang. Es sind die Vernehmungsprotokolle von Olaf H. bei der Polizei. Allmählich wird klar, welche Halbwertszeit die Aussagen des ehemaligen Telekom-Vertriebs-Bereichsleiters haben. Zu fast jedem Detail hat H. verschiedene Varianten zu Protokoll gegeben.

Etwa zehn Mal hat er seine Einlassung geändert. Vom sterbenden Mirco, den er auf einem Parkplatz fand und dem er nicht mehr helfen konnte, über eine Unfallvariante bis hin zu dem, was nun verhandelt wird: Mord.

Auch dabei verstieg sich der 45-Jährige in abenteuerliche Versionen - etwa die, dass er Mirco nur in sein Auto bugsiert habe, um mit ihm zu reden und ihn zu beruhigen, nachdem er ihm bei einer Pinkelpause aus Versehen vor das Rad gelaufen sei. Mal soll sich der Junge wegen eines Missverständnisses selbst ausgezogen haben, worüber er erschrocken gewesen sei, dann gesteht er, dass er den Jungen ausgezogen habe.

Auf keinen Fall sei er mit dem Auto 200 Kilometer weit kreuz und quer gefahren, um einen Jungen „abzufischen“. Er reagiere so seinen Stress ab. Es sei ihm um Macht gegangen, um Erniedrigung, nicht um Sex, beteuerte Olaf H. schließlich den Vernehmungsbeamten. Dennoch will er den Zehnjährigen ausgesprochen nett behandelt, gestreichelt, stets „bitte“ gesagt haben. Einmal räumt er aber auch ein, dass er sich vorgestellt habe, wie es wäre, mit dem Jungen Sex zu haben.

Er habe sich selbst auch ausgezogen und sich auf ihn gelegt, aber keine Erektion bekommen und gemerkt, „dass das nicht sein Ding“ sei. Dann liefert er die Variante, dass er umgekehrt und zur Leiche zurückgefahren sei in der Hoffnung, dass der Junge noch lebe. Schließlich räumt er ein, es war die Angst und er habe dem kleinen Körper sicherheitshalber auch noch ein Messer in den Hals gerammt. Am Dienstag lässt er auch dies widerrufen.

Immer wieder stöhnen Zuschauer im Saal ob der psychischen Tortur, sich alle Varianten in wechselnden Details anhören zu müssen. Wie er noch den Kindersitz seiner Tochter wegräumte, um Platz zu schaffen im Dienstwagen, seine Unterhose herunterzog und sich auf Mirco legte. Dem Psychiater beteuert er dagegen Wochen später „beim Leben seine Tochter“, dass er nichts Sexuelles mit Mirco angestellt habe.

Richter Luczak legt dem Angeklagten nahe, die vielen Widersprüche mit einer authentischen Schilderung vor Gericht zu beseitigen: „Wenn es etwas zu therapieren gibt, setzt das voraus, dass man sich zu diesen Dingen bekennt.“ Dazu hat Olaf H. nun etwas Bedenkzeit, die Verhandlung wird erst am Donnerstag fortgesetzt.

Die skelettierte Leiche Mircos, zu der Olaf H. die Ermittler nach 145 Tagen führte, lässt keine Rückschlüsse darauf zu, was Mirco wirklich widerfuhr. Um das Urteil „lebenslange Haft“ wird Olaf H. vielleicht nicht herumkommen, aber lebenslang ist ein dehnbarer Begriff in Deutschland. Es geht für Olaf H. noch um die in aller Regel haftverlängernde „besondere Schwere der Schuld“ und die Einstufung seiner Gefährlichkeit für die Zukunft - ganz erheblich für das Datum der Entlassung.

Eins bleibt in seinen diversen Geständnissen auffällig konstant: Mirco glaubte seinem Peiniger keine Sekunde. Er hatte von Anfang an panische Angst, nässte sich im Auto ein.