Die Frauenrechtlerin spendete an Berliner Frauenhilfeverein. Dessen Chef soll das Geld veruntreut haben. Jetzt sagte die Journalistin im Prozess aus

Berlin. Alice Schwarzer erscheint auf die Minute genau. 9.15 Uhr steht Deutschlands prominenteste Feministin, ganz in Schwarz, vor dem Saal 537 des Moabiter Kriminalgerichts, gibt schnell noch einem Fernsehteam ein Interview und steuert nach dem Aufruf gelassen in Richtung des Zeugenstuhls. Den Angeklagten Udo D., offiziell noch immer Vorsitzender des Frauennothilfevereins Hatun & Can, streift nur ein kurzer Blick. Aber sie hat natürlich die Provokation wahrgenommen: Der 42-Jährige trägt ein weißes T-Shirt mit einem RTL-Logo. Das ist kein Zufall.

Bei dem TV-Sender RTL hatte die "Emma"-Herausgeberin Schwarzer im Herbst 2009 in der Quiz-Sendung "Wer wird Millionär?" 500 000 Euro gewonnen und dieses Geld dem Verein Hatun & Can zukommen lassen. Und genau um dieses Geld, das der Angeklagte nach Meinung der Staatsanwaltschaft veruntreuen wollte, geht es nun.

Im Zeugenstand ignoriert Alice Schwarzer das T-Shirt. Auch für den unsicher wirkenden Angeklagten gibt es kaum noch einen Blick. Unterbrochen wird die stringente Aussage nur dann, wenn Schwarzer über sich selbst erzählt: dass sie heute nur noch "staunen kann, wie sehr ich auf den Angeklagten Udo D. hereinfallen konnte". Und dass sie aufkeimendes Misstrauen anfangs verdrängt habe. "Ich fand es toll, dass es eine flexible Bürgerbewegung gibt, die religiös verfolgten und entrechteten Frauen unbürokratisch helfen will, jenseits aller staatlichen Hilfe."

Der Verein wurde nach dem Mord an Hatun Sürücü gegründet

Der Verein Hatun & Can wurde 2006 gegründet. Anlass, sagt zumindest der Angeklagte, war der Mord an der Deutsch-Kurdin Hatun Sürücü. Die 23-Jährige, die im Februar 2005 in Tempelhof von ihrem vier Jahre jüngeren Bruder Ayhan erschossen wurde, ist als Vorbild für andere Muslimas bekannt geworden - als eine Frau, die sich von dem Mann trennte, mit dem sie zwangsverheiratet wurde, die das Kopftuch ablegte und die mit ihrem Sohn Can ein selbstbestimmtes Leben führte. Nach beiden ist der Verein benannt.

Alice Schwarzer sagt, ihr sei der Verein "von Anfang an sympathisch" gewesen. "Ich habe das als total rührend empfunden, was er macht." 2007 spendete Schwarzer erstmals 3000 Euro. Und es gab eine werbeträchtige Meldung über den Verein Hatun & Can in ihrer Zeitschrift "Emma". Etwa ein Jahr später, berichtet die Journalistin, habe ihr der Angeklagte geschrieben und die finanzielle Not des Vereins geschildert. Es folgte ein sehr großer Artikel in der "Emma". Recherchiert von Köln aus am Telefon. Im Sommer 2009 wandte Udo D., der sich auch bei Schwarzer "aus Gefahrengründen" Andreas Becker nannte, erneut an Schwarzer. Wieder war es ein Hilferuf. Wenig später lernte sie ihn in Berlin persönlich kennen. Er kam in Begleitung einer jungen muslimischen Frau zu einer Veranstaltung, bei der sie über Islamismus referierte. Sie sei über seine Erscheinung "überrascht" gewesen, sagt sie. "Ich dachte, das ist nicht der Typ Mensch, der sich dafür einsetzt, Frauen zu retten. Aber ich habe diese Vorurteile verdrängt."

Plötzlich kamen von dem Verein nur noch knappe Mails

Kurz darauf gewann Schwarzer beim RTL-Quiz die 500 000 Euro und spendete das Geld. Hernach, sagt sie, habe sie auf ein Treffen mit Mitgliedern des Vereins gehofft und auf Informationen. Doch von dem Angeklagten seien "immer nur eigenartige, knappe sparsame Mails" gekommen. Sie sei unruhig geworden, sagt sie. Auch dass binnen weniger Wochen schon 100 000 Euro von der Spende weg waren, darunter allein 60 000 für einen BMW, habe sie stutzig gemacht. Verstärkt habe sich ihr Misstrauen nach einem Brief eines anderen Berliner Hilfevereins, in dem geschildert wurde, dass Hatun & Can unprofessionell arbeite.

Am 7. November 2009 traf sie sich mit Udo D. und einigen Vereinsmitgliedern in einem Restaurant. "Da kam auf Fragen gar nichts, nur so ein Rumgedruckse." Zu diesem Zeitpunkt seien bei ihr die letzten Illusionen zerstoben. "Mir war klar: Hier ist was faul, aber gewaltig! Und ich musste mir die Frage stellen, ob ich Betrügern aufgesessen bin." Am 15. Dezember 2009 erstatteten Schwarzer und die RTL-Stiftung Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft. Ermittlungen liefen an. Am 31. März 2010 wurde Udo D. festgenommen. Seitdem befindet er sich in U-Haft.