Der Schauspieler Mehmet Kurtulus erreichte zuletzt nur noch eine Quote unter sieben Millionen Zuschauern, die Schmerzgrenze der ARD

Hamburg. An jedem anderen Tag wäre man bei der ARD für 6,83 Millionen Zuschauer dankbar gewesen; aber nicht sonntags. Wenn das "Erste" sein Flaggschiff ins Quotenrennen schickt, darf die Zahl vor dem Komma gern auch mal zweistellig sein. Weniger als acht Millionen gelten bei einem "Tatort" schon als bedenklich. Und sind es nicht mal sieben Millionen, gibt es vermutlich umgehend eine Schaltkonferenz.

Die Sympathiewerte erreichten nicht die seiner Kollegen

Selbst wenn die dürre NDR-Mitteilung nun so klingt, als habe man Mehmet Kurtulus, 38, mit Mühe und Not dazu überreden können, noch zweimal in die Rolle des verdeckten Ermittlers Cenk Batu zu schlüpfen: Der "Undercover"-Kommissar hat nie auch nur annähernd die Sympathiewerte etwa des schrägen Duos Thiel und Boerne (Axel Prahl, Jan Josef Liefers) aus Münster erreicht. Und deshalb wird man ihm bei der ARD nur der Form halber eine Träne nachweinen.

Trotzdem ist das Scheitern dieser für die Konventionen des Sonntagskrimis so ungewöhnlichen Figur höchst bedauerlich; und der Mut des NDR um so mehr zu loben. Batu nahm unter den "Tatort"-Kollegen schon allein deshalb eine Sonderstellung ein, weil die Geschichten gegen das erste Sonntagsgebot verstießen: "Am Anfang ist der Mord." Die Spannung der Filme resultierte in der Regel nicht aus der Suche nach dem Täter, denn der war meist bekannt. In der jüngsten Folge "Leben gegen Leben" (ausgestrahlt am 27. Februar) gab es nicht mal eine Leiche; es ging vielmehr darum, einen Mord zu verhindern, weil ein junges Mädchen zur Organ-"Spende" gezwungen werden sollte. Das war enorm fesselnd, und womöglich liegt darin die Erklärung dafür, dass Batu nicht so erfolgreich ist wie die Kollegen: Momente der Entspannung sind rar im "Tatort" aus Hamburg. Selbst die zwar durchaus unterhaltsame, aber doch sehr seichte Dora-Heldt-Verfilmung im ZDF, "Tante Inge haut ab", hatte zuletzt ein größeres Publikum (7,42 Millionen).

Doch nicht nur inhaltlich, auch stilistisch sind die Unterschiede zwischen Batus Fällen und beispielsweise den Krimis vom Bodensee offenkundig: Der LKA-Mitarbeiter hat keinen Schreibtisch, weil er ohnehin permanent unterwegs ist. Deshalb gibt es auch viel mehr Außenaufnahmen als anderswo; das lässt die Filme deutlich dynamischer wirken. Batu steht zudem zumindest im Einsatz ständig unter Strom: Er muss ja permanent darauf achten, seine Tarnung durchzuhalten. Daher kommt er nie zur Ruhe; und die Filme auch nicht. Und noch ein Unterschied: Er hat zwar telefonischen Kontakt zu seinem Chef, trotzdem vermittelt sich die Handlung weniger über den Dialog als gewohnt.

Um so größer ist die Herausforderung an den Hauptdarsteller, und auch in dieser Hinsicht war Mehmet Kurtulus ein Glücksfall. Er ist ohnehin ein ungemein physischer Schauspieler. Seine Wandelbarkeit war unabdingbare Voraussetzung, weil der verdeckte Ermittler ständig in andere Rollen schlüpfen musste. Vor allem aber musste er die Gegensätze zwischen Maske und Mensch vermitteln. Eine Schlüsselszene mit Michelle Barthel im letzten Film, in der Batu und das junge Mädchen mehr Emotionen zum Ausdruck brachten als viele Liebesszenen, ohne dabei ein Wort zu verlieren, verdeutlichte sein große Talent.

Der gebürtige Türke ist durch Filme von Fatih Akin bekannt geworden

Beim NDR bedauert man den Rückzug des gebürtigen Türken, der vor allem durch Filme von Fatih Akin ("Kurz und schmerzlos") bekannt geworden ist und 2008 die "Tatort"-Nachfolge von Robert Atzorn (als Jan Casstorff) angetreten hat. Kurtulus lässt mitteilen, er wolle sich in Zukunft verstärkt um internationale Projekte kümmern. Im Sommer wird er noch zwei weitere Krimis drehen, dann muss sich der NDR ein neues Kommissars-Profil basteln.