Mindestens 75 Tote und Hunderte Vermisste nach Erdbeben in Christchurch. Hamburger Schüler kam glimpflich davon

Christchurch/Hamburg. In der neuseeländischen Stadt Christchurch hat ein dramatischer Wettlauf gegen die Zeit begonnen. Nach dem schweren Erdbeben der Stärke 6,3, das Dienstag (Ortszeit) die 340 000-Einwohner-Stadt teilweise verwüstete, suchen Helfer fieberhaft nach Verschütteten. Die Hoffnung sinkt jedoch mit jeder Minute. Nachbeben machen die halb eingestürzten Gebäude zur potenziellen Falle für die Retter. Bis gestern waren 75 Tote zu beklagen, 300 Menschen wurden noch vermisst.

Polizeikommissar Russell Gibson rechnet mit mehr Toten, da noch viele Bewohner unter den Trümmern vergraben liegen. "Die Straßen sind von Leichen gesäumt, sie waren in Autos eingeschlossen oder von Trümmern erschlagen", sagte er gestern. Zur Bergung von Überlebenden und Toten sind etwa 500 Rettungskräfte im Einsatz, darunter Polizei und Militär. Es habe Fälle gegeben, in denen die Helfer eingeklemmten Menschen Gliedmaßen hätten amputieren müssen, um sie zu befreien. Andere hätten bei ihrer Bergung "nur kleine Schrammen" gehabt.

Der Hamburger Austauschschüler Lars Kludzuweit, der in Christchurch die Lincoln High School besucht, befand sich zum Zeitpunkt des Bebens auf dem Schulgelände. In einer Mail an das Abendblatt (Auslandstelefonate sind derzeit nicht erlaubt) beschreibt er, wie er die schrecklichen Minuten erlebte: "Wir waren draußen auf dem Sportplatz. Wohl der beste Ort, da einem nichts auf den Kopf fallen kann. Es war schwer, das Gleichgewicht zu halten und nicht hinzufallen. Man konnte sehen, wie das Schulhaus gewackelt hat, Leute rannten aus dem Gebäude." Kludzuweit, der auch schon das Erdbeben der Stärke 7,1 im September miterlebt hat, bei dem aber keine Menschen zu Schaden kamen, berichtet weiter: "Hier gibt's keine Straße mehr ohne einen Riss im Boden. Als ich nach Hause kam, erfuhr ich aus dem Fernsehen das ganze Ausmaß. Es ist schrecklich zu erfahren, wie und wo Leute gestorben sind, weil man die Orte kennt. Alle Schulen sind geschlossen."

Neben der Suche nach Vermissten beginnen die Einwohner aber auch schon verstärkt mit Aufräumarbeiten. Premierminister John Key kündigte den Wiederaufbau der Stadt an. "Christchurch: Heute ist der Tag, an dem dein großes Comeback beginnt", sagte er gestern. Zuvor hatte er den nationalen Notstand ausgerufen, um die Rettungsarbeiten zu optimieren. Das ist auch dringend notwendig, denn Dutzende Nachbeben erschütterten die Stadt, viele Menschen hatten weder Strom noch Wasser.

Ein Augenzeuge berichtete, wie eine Frau mit einem Baby im Arm von herabfallenden Trümmern erschlagen wurde. "Sie war aus einem Laden in der Cashel Street gerannt und wurde von herabstürzenden Trümmern erschlagen. Wir haben versucht, die Brocken wegzustoßen, aber sie lebte nicht mehr", sagte Tom Brittenden. Ihr Baby hat überlebt. Für 50 Vermisste, die unter dem eingestürzten Gebäude des Senders Canterbury Television begraben sind, gibt es dagegen keine Hoffnung mehr. Nur eine Frau konnte mehr als 24 Stunden nach dem Beben lebend geborgen werden. Zu den Glücklichen, die rechtzeitig gefunden wurden, gehört auch Anne Bodkin, die sich unter einen Schreibtisch gekauert hatte, als das Beben begann. Ihr Mann Graham stand vor den Trümmern des Pyne-Gould-Guinness-Gebäudes und erlebte die Aktion mit. Gerettet wurde auch der Bäcker Shane Tomlin, 42. Sanitäter zogen ihn aus den Trümmern des Cashel-Street-Einkaufszentrums.

Unter den 75 Toten befinden sich auch mehrere Ausländer. Die Bundesregierung hat aber keine Hinweise auf deutsche Opfer. Die Schäden belaufen sich nach Schätzungen auf umgerechnet 6,3 Milliarden Euro.

In Neuseeland sind Erd- und Seebeben keine Seltenheit. Der Inselstaat liegt auf dem Pazifischen Feuerring, auf dem mehrere Kontinentalplatten zusammentreffen. In dem Gebiet ereignen sich jährlich Hunderte Erdbeben. Dieses Beben ist jedoch das schwerste seit dem Jahr 1931, damals starben 256 Menschen.