Doch kein Unglück: Der Brand mit vier Toten im Westerwald war ein “erweiterter Suizid“

Rückeroth. Zuerst sah es nach einem tragischen Unglück aus. Doch in Wahrheit handelte es sich bei dem verheerenden Brand eines Einfamilienhauses in Rückeroth (Westerwald), bei dem am Freitag eine vierköpfige Familie ums Leben kam, um eine Familientragödie: Denn nachdem die Leichen der 44 Jahre alten Mutter, der 14 Jahre alten Tochter sowie des zehnjährigen Sohnes obduziert sind, steht zweifelsfrei fest, dass der 53 Jahre alte Vater seine Familie getötet hat, bevor er sein Haus anzündete und selbst in den Flammen umkam.

Aus Rücksicht auf die Hinterbliebenen teilte die Polizei lediglich mit, dass es sich beim Motiv offenbar um "familieninterne Schwierigkeiten" gehandelt habe. Die Ermittlungen wurden inzwischen eingestellt, da es keine Anzeichen für eine Tatbeteiligung weiterer Personen gibt.

Noch am Sonntag waren nach dem Gottesdienst mehrere Hundert Menschen in einem Trauermarsch durch den 500-Einwohner-Ort gezogen und hatten für die Opfer an der völlig ausgebrannten Ruine Blumen niedergelegt und Kerzen angezündet. "Für uns ist das Geschehene weiterhin unfassbar", sagte ein Nachbar. Die Familie habe unauffällig in der Dorfgemeinschaft gelebt. Der Vater betrieb im Nachbarort eine Tankstelle. Inzwischen sickerte jedoch durch, dass die Familie sich in finanziellen Schwierigkeiten befunden haben soll.

Es sind zumeist wirtschaftliche Notlagen, die immer wieder vor allem Männer zu einer solchen Verzweiflungstat bringen. Sie glauben, dass ihre Familien mit den Problemen nicht fertigwerden könnten. Juristen und Psychologen sprechen dann von einem "erweiterten Suizid". Auch ein Amoklauf kann unter bestimmten Umständen als erweiterter Suizid eingestuft werden: so wie in Lörrach im September 2010, als die 43 Jahre alte Rechtsanwältin Sabine R. ihren von ihr getrennt lebenden Ehemann, ihren fünfjährigen Sohn und einen Krankenpfleger tötete, ehe sie von der Polizei erschossen wurde.

"Meist lösen kleine äußere Umstände den Affekt aus, doch den Taten selbst sind in der Regel Streitigkeiten vorausgegangen", sagt Dieter Naber, Direktor der psychiatrischen Universitätsklinik in Hamburg. "Häufig kommen Kränkungen hinzu", ergänzt die Neurologin Uta Kieme, "wobei vor allem viele Männer mit extremen Gefühlen nicht so gut umgehen können, weil sie es nie gelernt haben."

Die schreckliche Logik solcher Verzweiflungstaten bedingt jedoch, dass sich die Täter am Ende selbst richten müssen. Misslingt ihnen dies, müssen sie sich wegen Mordes vor Gericht verantworten. Dabei kommt häufig das Mordmerkmal der "Heimtücke" zum Tragen, weil Familienmitglieder in der Regel einander arglos begegnen und die Täter ihre Vertrauensstellung missbrauchen, um Verwandte zu töten. So wie der Grüneberger Ordnungsamtsmitarbeiter Jörg S., der im Juli 2010 seine Frau umbrachte, weil sie nichts von seinen Schulden erfahren sollte. "Nach dem Mord fehlte ihm der Mut, selbst Hand an sich zu legen", sagte damals der Sprecher der Staatsanwaltschaft Neuruppin.

Auffällig ist, dass Verwandte, Freunde und Nachbarn fast nie von Warnzeichen berichten können: In Harrislee bei Flensburg und in Schenefeld bei Hamburg, wo im September 2009 bei zwei erweiterten Suiziden insgesamt sechs Menschen starben, aber auch in Berlin, wo ein Neuköllner im Jahr 2004 seine Tochter ertränkte, seine Freundin erwürgte und sich dann die Pulsadern aufschnitt, hieß es hinterher unisono: "Das waren ganz liebe, nette Leute."

Manchmal tritt aber auch erst mit einer solchen Tragödie das gesamte Elend des "Sich-allein-gelassen-Fühlens" zutage, so wie bei einer Mutter in Schönefeld, die sich 2009 mit ihren drei behinderten Kindern in ihrem Auto verbrannte.

Ein weiteres recht häufiges Motiv für den erweiterten Suizid ist der Wunsch, dem verhassten Partner nach dem eigenen Tod die Kinder keinesfalls überlassen zu wollen.