Tochter und Stieftochter des mutmaßlichen Kinderschänders aus Fluterschen berichten über ihren grausamen Alltag.

Koblenz. Ihre Blicke begegneten sich kurz, als der Stiefsohn im Gerichtssaal seinem Stiefvater und mutmaßlichen Peiniger gegenübertrat. Björn B., 27, wirkte sichtlich angespannt, Detlef S., 48, das Monster von Fluterschen, blieb dagegen wie schon am Vortag fast regungslos. Auch seine leibliche Tochter Jasmin, 18, war von Angst beherrscht, als sie gestern im Koblenzer Missbrauchsprozess aussagte. Immer wieder brach sie in Tränen aus. "Auf der einen Seite ist es ja ihr geliebter Vater, auf der anderen Seite auch ihr Peiniger, der ihr die Kindheit genommen hat", sagte ihre Anwältin.

Seit gestern besitzt das Land erschütternd weitreichende Kenntnis dessen, was Detlef S. aus dem kleinen Dorf im Westerwald seiner Familie angetan haben soll. Seine Stieftochter Natascha, 28, seine leibliche Tochter Jasmin, 18, sowie zwei Stiefsöhne soll der arbeitslose Lkw-Fahrer über Jahre hinweg sexuell missbraucht haben. Die Anklage spricht von 350 belegten Fällen. Zum Prozessauftakt am Dienstag hatte der Langzeitarbeitslose zugegeben, mit seiner Stieftochter seit 2000 acht Kinder gezeugt zu haben; ein Junge, Kevin, starb 2001 im Babyalter.

Gestern legte Detlef S. ein Teilgeständnis ab. Die Vorwürfe der Anklage, wonach er seine leibliche Tochter jahrelang missbraucht habe, seien zutreffend, sagte sein Verteidiger.

Tochter und Stieftochter des Beschuldigten gaben der Illustrierten "Bunte" vor dem ersten Verhandlungstag ein Interview, in dem sie schockierend detailliert darüber berichten, was in ihrem Elternhaus über viele Jahre Alltag war. "Herr Detlef S.", wie sie ihren Stiefvater nennt, habe sie terrorisiert und sie keine Sekunde aus den Augen gelassen, sagt Natascha. "Papa wollte nicht, dass wir Mädchen zur Schule gehen. Dort hatte er ja keine Kontrolle über uns." Manchmal habe er sie so grün und blau geschlagen haben, dass sie zu Hause bleiben mussten. "Wenn die Lehrer wissen wollten, warum ich so oft fehle, habe ich gesagt, sie sollten sich mal mit meinen Eltern unterhalten. Doch das ist nie passiert."

Die Mädchen durften keine Freundinnen treffen, nicht ins Kino oder in die Disco. "Er kam auch zu jedem Gynäkologentermin mit. Je öfter ich schwanger wurde, desto mehr wunderte sich mein Arzt. Aber Herr Detlef S. saß ja immer neben mir." Außerdem habe sie Angst um ihre Kinder gehabt. Detlef S. drohte ihr, das Jugendamt würde ihr die Kinder wegnehmen, wenn sie sich äußern würde. Jasmin erzählt, ihr Vater habe gedroht, sich mit dem Auto eine Brücke hinunterzustürzen, wenn sie sich jemandem anvertrauen würde.

Warum hat den Kindern niemand geholfen? Mutter Erika S. verschloss vor dem Missbrauch offenbar jahrelang die Augen. Die 52-Jährige soll selbst als Kind vom Vater vergewaltigt und immer wieder von ihrem Mann zusammengeschlagen worden sein, manchmal bis zur Bewusstlosigkeit. Auch aus dem Umfeld kam niemand zu Hilfe. "Die Nachbarn wussten Bescheid. Die haben nicht nur getuschelt, sie haben regelrecht spekuliert. Und keiner hat was gemacht", sagt Jasmin. Das Jugendamt behauptet, sich regelmäßig um die Familie gekümmert zu haben. Die Opferanwälte bezweifeln dies: Jasmin und Natascha hätten ihnen erzählt, dass der Leiter des zuständigen Jugendamtes ein Freund von Detlef S. sei. "Da ist es doch verdächtig, dass er die Kinder immer wieder in die Obhut von Detlef S. gelassen hat", sagt Anwältin Sandra Buhr in "Bunte".

Natascha berichtet, ihr Stiefvater habe bewusst Kinder haben wollen, daher habe er keine Kondome benutzt. "Ich bekam des Öfteren Verhütungsmittel verschrieben. Sobald Herr Detlef S. das Rezept sah, zerriss er es. Oder er löste es ein und schloss die Pillenpackung weg", so Natascha. "Er bekam ja auch das Kindergeld von meinen Kindern auf sein Konto überwiesen." Als Weihnachtsgeschenke habe es oft Waschlotion gegeben - "der Herr S. stieg oft zu uns unter die Dusche".

Ihrer Mutter habe sie verschwiegen, von wem sie schwanger war. Wenn sie andeutete, was Detlef S. ihr antat, fing die Mutter an zu weinen und schickte Natascha weg. "Als 2008 der Fall Fritzl bekannt wurde, habe ich ihr gesagt, dass ihr Mann genauso einer sei. Doch wieder keine Reaktion." Der Österreicher Josef Fritzl hatte seine Tochter 24 Jahre lang im Keller seines Hauses versteckt, immer wieder vergewaltigt und mit ihr sieben Kinder gezeugt.

Detlef S. soll Natascha auch während der Schwangerschaft geschlagen und vergewaltigt haben. Dennoch sei er ein "stolzer Opa und Patenonkel" gewesen. "Er hatte einen Freund dazu gebracht, die Vaterschaften anzuerkennen. Der Mann lebt von Hartz IV und war froh, sich ein bisschen was dazuverdienen zu können. Anfang 2010 hat er allerdings die Vaterschaften angefochten", sagt Natascha.

Gemeinsam äußern die beiden jungen Frauen den Wunsch, künftig ein normales Leben zu führen. Sie träume von einem Leben "ohne Gewalt. Ohne Schläge. Ohne Fremdbestimmung", sagt Natascha. "Vielleicht in einem kleinen Häuschen. Mit meinen Kindern und einem Mann, der mich liebt." Zudem wolle sie eine Friseurlehre machen. Ihre Halbschwester beginnt bald eine Ausbildung zur Hotelfachfrau.

Beide Frauen haben nach eigenen Angaben inzwischen Freunde, doch die seien nicht über die grausamsten Details ihres Familienlebens informiert. Jasmins Freund habe die Anklageschrift gelesen. "Aber er weiß nicht alles, was mir angetan wurde. Ich habe Angst, dass er mich dann verlässt, wenn er die Wahrheit erfährt", so Jasmin. Natascha lebt seit Herbst 2010 mit den Kindern und ihrem Freund in einer eigenen Wohnung. Sie fange langsam an zu verstehen, "wie sich Liebe anfühlt".

Aus Schutz vor dem enormen Medienrummel leben die beiden Frauen zurzeit an einen unbekannten Ort.