Auch Diplomaten sollen Londoner City-Maut zahlen, doch Auswärtiges Amt weigert sich

London. Er tobt nicht, aber er schwelt - der lokale Kleinkrieg zwischen Deutschland und England. Als Feldherren stehen sich der BMW-Fahrer Georg Boomgaarden, 62, Botschafter der Bundesrepublik am britischen Königshof, und Londons radelnder Bürgermeister Boris Johnson, 46, gegenüber. Anlass der Feindseligkeiten ist die Congestion Charge, die Londoner Innenstadt-Maut. Der nun bald ins neunte Jahr gehende Konflikt dreht sich um Millionen, vor allem aber um die Definition des Wortes Maut: Handelt es sich dabei um eine Steuer oder eine Gebühr?

Die "Schulden" der Bundesrepublik summieren sich auf vier Millionen Euro

Dem Vorbild Singapur folgend hatte Johnsons sozialistischer Amtsvorgänger, der "rote Ken" Livingstone, weite Teile des Londoner Zentrums - darunter die sogenannte City, das 2,6 Quadratkilometer große Banken-, Börsen- und Versicherungsviertel - zur mautpflichtigen Zone erklärt. Seit 17. Februar 2003 wird jedes Fahrzeug bei der Ein- und Ausfahrt sowie in dem Bereich selbst von Infrarotkameras mit automatischer Kennzeichenerkennung erfasst. Werktags zwischen 7 und 18 Uhr wird eine Abgabe fällig. Für einen Pkw hat sich der Obolus mittlerweile auf zehn Pfund, rund zwölf Euro, pro Tag verdoppelt. Nichtzahlung wird mit Strafmandaten von immerhin 75 bis 220 Euro geahndet.

Wenn der schwarze Siebener mit dem Nummernschild "1 GER" von der Botschaft am Belgrave Square kommend die beschilderte Frontlinie überquert, etwa um zur Downing Street zu fahren, wird die Limousine von Johnsons Kameratruppen abgeschossen wie jedes andere Fahrzeug auch. Doch der aus Emden stammende Chef der deutschen Mission weigert sich zu zahlen. Die unbezahlte Maut zusammen mit Boomgaardens Strafmandaten und denen seiner beiden Vorgänger summieren sich inzwischen auf über vier Millionen Euro. Die Begründung für ihre Nichtzahlung liefert das Auswärtige Amt: Es "betrachtet die Congestion Charge als eine Steuer. Deshalb sind Diplomaten davon ausgenommen." Das Ministerium beruft sich auf das Wiener Übereinkommen von 1981 über diplomatische Beziehungen, das Diplomaten ausdrücklich von der direkten Besteuerung in ihrem Gastland befreit.

Der Bürgermeister, ein ehemaliger konservativer Parlamentsabgeordneter, weist diese Rechtfertigung zurück, obwohl er selbst in Reden und Interviews die Maut mehrfach als eine "tax" (Steuer) bezeichnet hat.

Ein Johnson-Sprecher erklärte dem Hamburger Abendblatt: "TfL (die Verkehrsbehörde Transport for London) und die britische Regierung stellen fest, dass es sich bei der Congestion Charge nicht um eine Steuer, sondern um eine Dienstleistungsgebühr handelt. Das bedeutet, dass Diplomaten nicht von der Zahlung ausgenommen sind. Drei Viertel aller Botschaften in London entrichten die Gebühr, aber eine störrische Minderheit weigert sich, trotz unserer Einlassungen über diplomatische Kanäle. TfL und der Bürgermeister werden alle unbezahlten Mautgebühren und damit zusammenhängende Strafmandate weiterverfolgen."

Zu Deutschlands Verbündeten zählen Russland, Indien und die USA

In der Tat kämpft Deutschland nicht allein. Zu den Verbündeten - der "störrischen Minderheit", die den Ruf zur Kasse ablehnt - gehören auch die Vereinigten Staaten, Russland, Japan, Frankreich, Spanien und Indien. Insgesamt "schulden" die Nichtzahler 59 Millionen Euro. Das entspricht fast genau einem Drittel des Nettogewinns, den die London-Maut im jüngsten erfassten Jahr, 2009/2010, abgeworfen hat. "Von dem Geld könnte sich London 260 neue Busse leisten", zetert die Liberalen-Chefin in der Bürgerschaft, Caroline Pidgeon. Noch viel mehr Busse hätte die Stadt anschaffen können, wenn der "rote Ken" mit dem Plan durchgekommen wäre, die Congestion Charge für Geländewagen, Sportflitzer und alle Personenautos mit einem CO2-Ausstoß von mehr als 226 Gramm pro Kilometer auf 30 Euro am Tag zu erhöhen.

Auch dieses Vorhaben scheiterte an deutschem Widerstand: Im Jahr 2008 klagten das Stuttgarter Unternehmen Porsche und seine britische Verkaufsniederlassung dagegen vor einem Londoner Verwaltungsgericht. Porsche siegte - und Ken Livingstone verlor die Bürgermeisterwahl.