Entsetzen in Schwalmtal. Ein 45-jähriger Familienvater gestand den Mord an dem zehn Jahre alten Mirco und wurde verhaftet.

Schwalmtal. Der zierlichen Frau steht das Entsetzen ins Gesicht geschrieben: Soeben hat Vi Scholzen, 33, erfahren, dass Olaf H., 45, der nette Familienvater aus dem Haus gegenüber, dringend verdächtigt wird, am 3. September den damals zehnjährigen Mirco in Grefrath entführt und ermordet zu haben. "Mir fehlen einfach die Worte, das ist ja schrecklich", sagt sie.

Am Tag zuvor hatte die Nachbarin noch verwundert beobachtet, wie Polizeiwagen vor dem Haus gegenüber hielten und Männer in weißen Overalls ein- und ausgingen. Die Arbeit eines Spurensicherungskommandos kennt man hier auf dem Lande sonst nur aus Kriminalfilmen. Am Nachmittag sei dann ein Abschleppwagen gekommen und habe den silbergrauen Passat mit dem Münsteraner Kennzeichen fortgeschafft, sagt Frau Scholzen.

Porzellanfiguren stehen vor dem Haus des Tatverdächtigen

Das Haus des Tatverdächtigen ist ein schmuckes cremefarben verputztes Einfamilienhaus. Den Besucher empfangen vor der Tür die Figuren eines Schneemanns und eines Porzellan-Huhns. Über der Haustür steht der abgekürzte Segensspruch der Sternsinger, der ausgeschrieben bedeutet: "Christus mansionem benedicat - Christus möge dieses Haus segnen."

Zur Terrasse führt ein Weg aus Edelholz-Paneelen. Von dort aus geht der Blick in eine niederrheinische Wiesen- und Weidenlandschaft: Idylle pur. Diesen Eindruck verstärken auch Spielgeräte im Garten, ein mindestens drei mal drei Meter großer Sandkasten und ein Kletterturm mit angebauter Rutsche. Der aus Mönchengladbach stammende 45-Jährige, so berichten Nachbarn, sei in zweiter Ehe mit einer 27-Jährigen verheiratet. Beide Eheleute sind berufstätig. Aus erster Ehe lebt ein erwachsener Sohn mit im Haus. Mit seiner jetzigen Frau hat Olaf H. eine dreijährige Tochter. Die Familie wohnt seit fünf Jahren in der Siedlung. Die Polizei hat Frau und Kinder nach der Festnahme des Mannes in Sicherheit gebracht. Die Rollläden des Hauses sind ringsum heruntergelassen.

Zeugen hatten in der Nacht, als Mirco entführt und vermutlich auch umgebracht wurde, einen dunklen Passat Kombi gesehen. Deshalb hatte die Polizei zunächst in der Region, später bundesweit nach einem Passat der Baureihe B 6 gefahndet. Olaf H. allerdings fuhr einen Wagen, der ihm nach Angaben von Anwohnern in Schwalmtal nicht selbst gehörte, sondern seinem Arbeitgeber - einem in Bonn ansässigen großen deutschen Konzern, angeblich der Telekom. Deshalb hat der Dienstwagen das Münsteraner Kennzeichen. Nach bislang unbestätigten Berichten soll er aufgefallen sein, als er versuchte, den Wagen nach Luxemburg zu verkaufen und mit einer neuen Farbfolie zu versehen. Falls der Wagen tatsächlich ein Firmenfahrzeug war, hätte diese Idee wohl in jedem Fall schiefgehen müssen, da Olaf H. kaum im Besitz des Fahrzeugbriefs gewesen sein dürfte.

Doch weder Polizei noch Staatsanwaltschaft wollten gestern dazu Stellung nehmen, verweisen auf eine Pressekonferenz am heutigen Vormittag. Auch die Nachricht, dass Mircos Leiche bereits am Mittwoch nahe der A 40 nördlich von Grefrath gefunden worden ist, nachdem Olaf H. ein Geständnis abgelegt hatte, lassen die Behörden unkommentiert. Sie räumen nur ein, dass Mircos Leiche entdeckt worden und der Verdächtige verhaftet worden sei.

So ist bislang auch nicht bekannt, ob der Mann polizeilich schon einmal aufgefallen ist. Nachbarn haben dafür keine Anzeichen gesehen. Übereinstimmend bestätigen sie, dass an dem mutmaßlichen Täter lediglich seine Unauffälligkeit auffallend gewesen sei. Auf einer Schautafel mit Fotos, die am Gartenzaun eines Nachbarn hängt und ein feuchtfröhliches Nachbarschaftsfest dokumentiert, ist der etwas korpulente Mann mit den zurückgekämmten Haaren nicht einmal abgebildet.

Nicht einmal ein Polizist in der Nachbarschaft schöpfte Verdacht

Olaf H. war so gut in die Nachbarschaft integriert, dass offenbar nicht einmal ein Polizist, der nebenan wohnte, Verdacht schöpfte. "Ich sehe ihn noch vor mir, wie er mit seiner Kleinen spazieren geht", sagt Nachbar Scholzen. "Unfassbar, dass er der Täter sein soll."

Aber genau dieses Profil des unauffälligen, treu sorgenden Familienvaters hatten die Mönchengladbacher Fahnder mit der Hilfe von Profilern des Landeskriminalamtes früh entworfen, nachdem klar war, dass keiner der einschlägig vorbestraften Sexualtäter aus der Region für das Verbrechen infrage kam. Noch ist nicht einmal sicher, dass tatsächlich sexuelle Motive hinter der Tat stehen. Darüber wird erst nach der Obduktion Klarheit bestehen.

Jedenfalls muss die Familie von Olaf H. auch finanzielle Probleme gehabt haben. Zeugen berichten von einem Gerichtsvollzieher, der gestern Morgen an der Haustür geklingelt habe und angesichts der heruntergelassenen Rollläden wieder abgezogen sei. War Mircos Tod womöglich eine missglückte Entführung? Für Willi Neussen, 71, ist das Ganze ebenso wenig fassbar wie für viele andere Menschen, die in der Nachbarschaft wohnen. "Ich habe die ganze Nacht nicht schlafen können."