Für viele Patienten war sie die letzte Hoffnung, für Gericht und Staatsanwaltschaft war die Krebsärztin aber zu schnell mit tödlichen Schmerzmitteln zur Hand. Jetzt nahm sich Mechthild B., die 13 Patienten umgebracht haben soll, selbst das Leben. Mit Morphium.

Hannover/Bad Salzdetfurth. Sie war Herrin über Leben und Tod ihrer Patienten – das zumindest warfen die Richter der Krebsärztin Mechthild B. vor. Und auch über ihren eigenen letzten Schritt wollte die 61-Jährige die Entscheidungsgewalt behalten. Eine Woche nachdem das Gericht ankündigte, dass die Ärztin mit einer Verurteilung wegen Mordes rechnen muss, nahm sich Mechthild B. das Leben. Sieben Jahre lang ermittelte die Staatsanwaltschaft zu diesem Zeitpunkt bereits gegen die Medizinerin. Sie soll mindestens 13 Patienten mit zu hohen Schmerzmittel-Dosen umgebracht haben. Der Druck dieser Anschuldigung, vor allem aber die jetzt erstmals klar formulierte Position des Gericht, wurde offenbar zu groß: Nach einem letzten Gespräch mit ihrem Anwalt zog sich die 61-Jährige in ihr Wohnhaus in Bad Salzdetfurth bei Hildesheim zurück. Dort wurde sie am Montagnachmittag tot im Bett gefunden, nachdem sie sich selbst eine tödliche Infusion mit einer Überdosis Morphium gelegt hatte.Ihr drohte eine lebenslange Haftstrafe. Streitbar bleibt die Ärztin auch nach ihrem Suizid. Der Prozess gegen sie war extrem langwierig, Dutzende Zeugen wurden gehört, jedes Patientenschicksal tagelang minutiös aufgerollt. Wohl nie zuvor in einem deutschen Gericht wurde derart aufwendig die Frage ausgelotet, wo die Sterbebegleitung schwerkranker Menschen endet und die aktive Sterbehilfe beginnt. Die Position der Richter fiel in der vergangenen Woche für die meisten Beobachter überraschend eindeutig aus:Sie sprachen in mindestens zwei Fällen von Mord aus Heimtücke. Die Richter glaubten der Medizinerin nicht, dass die Schmerzbehandlung mit sehr hohen Dosen vom Morphium, Valium und Psychopharmaka im Sinne der Patienten war. „Wir haben keine Hinweise darauf, dass das Vorgehen der Angeklagten dem Patientenwunsch entsprach“, sagte der Vorsitzende des Schwurgerichts, Wolfgang Rosenbusch, in der Vorwoche. „Vor allem diese Annahme des Gerichts hat meiner Mandantin regelrecht den Boden unter den Füßen weggezogen“, sagt Anwalt Matthias Waldraff der Deutschen Presse-Agentur. Die Internistin sei überzeugt gewesen, alles im Einklang mit den Patienten zu machen. Die Krebsärztin hatte vor Gericht gesagt, dass die Behandlung mit Schmerzmitteln der Linderung und Sterbebegleitung gedient habe. Doch vorsichtige Kritik am Verhalten der Ärztin ist auch von Patientenschutzorganisationen wie der Deutsche-Hospiz-Stiftung zu hören. Vorstand Eugen Brysch sagt, der Freitod der Frau sei zwar eine menschliche Tragödie, die Medizinerin habe aber alleine über die Betreuung schwerstkranker Menschen entschieden. „Töten und Sterbebegleitung kann nicht das Gleiche sein.“ Die Hospiz-Stiftung fordert an Kliniken ein ethisches Konzil aus Ärzten, Pflegepersonal und theologischen Mitarbeitern, das über das Schicksal solcher Menschen entscheiden soll. Viele der ehemaligen und aktuellen Patienten von Mechthild B., die hatte nach dem Entzug ihrer ärztlichen Zulassung eine Praxis für allgemeine Gesundheitsvorsorge eröffnet hatte, zeigten sich am Dienstag schockiert über den Selbstmord der Ärztin. Manche gaben sogar dem Gericht, der Staatsanwaltschaft und den Gutachtern im Prozess eine Mitschuld. „Im Laufe des Prozesses haben sie dazu beigetragen, dass Frau Doktor B. diesen Entschluss gefasst hat“, sagt Ulla Hagemeister, die an vielen Prozesstagen im Gerichtssaal als Zuhörerin saß, der „Hildesheimer Allgemeinen Zeitung“. Andere behaupten, die Ärztin sei durch fehlende und unklare Gesetzgebung, durch die Ärzteschaft und durch Juristen verunsichert und dadurch in den Tod getrieben worden.