Historische Tagebücher des berühmten Musikhaus-Gründers in den USA veröffentlicht

New York. Das Jahr 1876 hat gerade begonnen. William E. Steinway, ein 40 Jahre alter US-Millionär mit Wurzeln im niedersächsischen Ort Seesen, schreibt in seiner New Yorker Villa: "Einen Dollar beim Doppelkopf verloren, beim Skat 50 Cent gewonnen, um Mitternacht Trinksprüche, nächtlicher Imbiss bis 3 Uhr morgens. Dank übermenschlicher Anstrengung gelingt es mir, meine Seelenqualen nicht allzu offenkundig zu zeigen, während sich meine Frau sehr zu amüsieren scheint, und so rutsche ich vom Jahr 1875, dem schrecklichsten, das ich je erlebt habe, in das Jahr 1876 mit der festen Überzeugung, dass mir alle Lebensfreude für immer vergangen ist."

Der Mann aus dem Harz schrieb in sein Tagebuch - die 2500 Seiten sind jetzt vom Washingtoner Smithsonian-Institut veröffentlicht worden. Steinway, der spätere Gründer des Hamburger Musikhauses, war im Alter von 15 Jahren mit den Eltern und mehreren Geschwistern in die Neue Welt gekommen, hatte auch seinen Namen Steinweg amerikanisiert. Als William E. Steinway wurde er der Klavier- und Flügelkönig der internationalen Konzertwelt. Daneben errichtete er ein Daimler-Automobilwerk in Long Island, betrieb eine Pferdebahn, besaß Immobilien und hatte prominente Freunde.

Der Grund für Steinways Traurigkeit: Drei Monate zuvor hatte er erfahren, dass seine ebenso schöne wie innig geliebte Frau Regina, 32, ihn wiederholt betrogen hatte, und Albert, das jüngste der drei Kinder, nicht von ihm, sondern von einem der Liebhaber stammte. "Wegen meiner Entdeckung erleide ich alle Martern der Hölle und verbringe die Nacht vollkommen schlaflos, die furchtbarste meines Lebens", notierte er am 18. September 1875. Und wenige Tage darauf: "Weitere Unterredung mit Frau bringt sämtliche Einzelheiten ans Licht. Keine Sprache kann mein äußerstes Elend beschreiben."

Bei der Vorbereitung der Scheidungsklage erwies sich, dass die emanzipierte Tochter des schwerreichen deutschblütigen Bierbrauers Jacob Roos schon seit Jahren Ehebruch getrieben hatte - meist mit Familienfreunden und Geschäftspartnern oder gar Angestellten ihres Mannes. Einer ihrer Liebhaber war der junge Berliner Textilkaufmann Louis Stern. Von seiner Haushälterin erfährt Steinway: "Frau Krauss bezeugt, dass er immer ins Haus kam, wenn ich nicht da war, und dass er am 4. Juni 1869 die ganze Nacht über blieb. Ich fühle mich entsetzlich."

Nach der Scheidung, damals eine Rarität, zog Regina mit Albert nach Nancy in Frankreich; Steinway nannte sich fortan Witwer. Doch das Eheende setzte keinen Schlusspunkt unter die große Liebe. Als Steinway das Päckchen öffnete, das sie ihm beim tränenreichen Abschied am Hafen in die Hand gedrückt hatte, und darin ihren Trauring fand, begann er zu schluchzen, "als würde mir das Herz brechen".

Er schrieb ihr regelmäßig, schickte sogar einen Flügel ins Exil, verhalf dem unehelichen Sohn zum Studium. 1880, im Eröffnungsjahr der Hamburger Klavierfabrik, heiratete Steinway wieder: die Dresdnerin Elisabeth Ranft. Sie schenkte ihm drei Kinder, ehe sie am Vorabend seines 58. Geburtstags einem Herzschlag erlag. Am 30. November 1896 starb er selbst an Typhus.