Ein Telegramm soll beweisen, wer im Jahr 1927 als Erster den Atlantik überflogen hat

Paris. War der Amerikaner Charles Lindbergh gar nicht der Erste, der den Atlantik überflogen hat - sondern sind ihm zwei Franzosen um zwölf Tage zuvorgekommen? Die Frage fesselt Luftfahrtfreunde seit 83 Jahren. Nun gibt es neue Indizien, die den Verdacht erhärten könnten. Ein französischer Historiker hat im amerikanischen Nationalarchiv ein Telegramm aus dem August 1927 entdeckt, in dem von Wrackteilen eines französischen Flugzeugs die Rede ist.

Am 8. Mai 1927 waren die französischen Flieger Charles Nungesser und François Coli mit dem Doppeldecker "L'Oiseau Blanc" vom Pariser Flughafen Le Bourget Richtung New York gestartet. Sie planten, mit ihrer Levasseur PL 8 den Atlantik zu überqueren und auf dem Wasser vor der Freiheitsstatue zu landen. Doch dort kamen sie nie an.

Letztmals wurden der "Weiße Vogel" an der französischen Kanalküste bei Étretat offiziell gesichtet, danach angeblich noch mal über Irland. Zehntausende warteten vergeblich an der Südspitze Manhattans auf die Ankunft der Franzosen.

Zwar meldeten französische Zeitungen am 9. Mai 1927 vorschnell, Nungesser und Coli hätten das amerikanische Festland erreicht. Doch wenig später folgte das Dementi. Keine zwei Wochen später landete Charles Lindbergh nach seinem Transatlantikflug in umgekehrter Richtung mit der "Spirit of Saint Louis" in Paris. Sein erster Besuch galt Nungessers Ehefrau, die die Hoffnung nicht aufgeben solle, ihren Gatten lebend wiederzusehen. Doch alle Suchaktionen im Ärmelkanal und vor der Küste Neufundlands blieben erfolglos.

Die Vermutung, dass Nungesser und Coli tatsächlich die nordamerikanische Küste erreicht haben könnten, flammte seither immer wieder auf. Eine französische Regierungsmission berechnete in den 80er-Jahren mögliche Flugrouten und trug Augenzeugenberichte zusammen, die am 9. Mai 1927 ein Flugzeug über nordostamerikanischem Boden gesichtet haben wollten. Die Beschreibungen könnten auf den "Oiseau Blanc" zutreffen. Mehrere Expeditionen suchten nach Wrackteilen am Round Lake im US-Staat Maine, in jüngster Zeit konzentrierten sich die Nachforschungen auf die Inseln St. Pierre et Miquelon, ein französisches Überseegebiet südlich von Neufundland, wo ein Fischer am Morgen des 9. Mai 1927 das Geräusch eines abstürzenden Flugzeugs gehört haben will.

Seit vier Jahren sucht Bernard Decré, Präsident des Vereins "A la recherche de l'Oiseau Blanc" dort und in diversen Archiven nach Spuren des französischen Fliegers. Die französische Marine hat die Gewässer vor Saint Pierre bereits mit Sonarsuchgeräten durchkreuzt. Bislang ohne Erfolg. Doch dann entdeckte Decré das besagte Telegramm, das den Spekulationen neue Nahrung gibt: Westlich von Sable Island - einer Insel 180 Kilometer südöstlich von Nova Scotia, hatte die Küstenwache damals "ein Paar weiße Tragflächen" von "15 Fuß Länge und vier Fuß Breite" gesichtet. "Es könnte sich um Wrackteile des Nungesser/Coli-Flugzeuges handeln", heißt es in dem Telegramm, das drei Monate nach dem Verschwinden der Maschine aufgegeben worden war.

Dass die Trümmer so weit von der vermuteten Absturzstelle bei Saint Pierre et Miquelon gesichtet worden sein sollen, könnte seine Ursache in der Labrador-Strömung vor der kanadischen Küste haben, vermutet Decré. Er hegt den Verdacht, dass die US-Behörden seinerzeit womöglich die Trümmer geborgen und den Fund verheimlicht haben - um den Triumph des Amerikaners Lindbergh nicht zu schmälern. Der Wettlauf um die erste Transatlantiküberquerung war schließlich auch eine Frage des nationalen Prestiges.

Decré will die Recherchen fortsetzen. Über kanadische Radiostationen sucht er nach Dokumenten und Zeitzeugen. 2011 will er eine erneute Unterwassersuchaktion durchführen. Das einzige Wrackteil, das die Zeit unter Wasser unbeschadet überstanden haben könnte und der endgültige Beweis wäre, ist der Motor des "Oiseau Blanc".